Die bessere Hälfte - warum nur Frauen die Wirtschaft nach vorn bringen
Geschäftsinhaberinnen ihren eigenen Angaben zufolge von dem Wunsch motiviert sind, größere Autonomie und Kontrolle über ihr Leben zu erlangen, kann man natürlich schlussfolgern, dass sie weniger darauf erpicht sind, fremde Investoren anzuziehen, die unweigerlich einen Großteil der Kontrolle übernehmen würden. Eine Firma, die vornehmlich fremdfinanziert wird, kann wohl kaum garantieren, dass die Besitzer oder die Angestellten genug Entfaltungsmöglichkeiten haben, um flexibel zu arbeiten, Beruf und Privatleben miteinander zu vereinbaren, eine hohe tägliche Lebensqualität am Arbeitsplatz garantiert bekommen und starke Bindungen knüpfen, während sie schnell gute Gewinne aus den Investitionen ziehen. Selbst wenn ein Firmengründer die Zahlen seinen Zielen unterordnen will, ist |118| dies für die Investoren keine zwingende Vorgabe. Deshalb überrascht es nicht, dass Unternehmerinnen ein bedächtigeres Wachstum häufig vorziehen.
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Das soziale Gefüge
So wie unsere Wahrnehmung unser Wertesystem bestimmt, formen unsere Werte unser Bild, wie die Welt aussehen sollte. Diese ethische Dimension ist das dritte Element unserer weiblichen Vision. Im Gegensatz zum Beobachten und Bewerten, die beide in unserem Innern ablaufen, in unserem Geist und in unseren Herzen, manifestiert sich die dritte Komponente unserer Vision in unseren Handlungen.
Unsere täglichen Handlungen haben nur dann wirklichen Einfluss, wenn sie unserer größeren Vision dienen und eine Verbindung schaffen zwischen dem, was wir jetzt, in der Gegenwart, tun und dem, was wir tief im Innern in der Welt zu erreichen suchen. Wenn uns diese Verbindung klar ist – und wir artikulieren können, inwieweit unsere Handlungen unserer übergeordneten Vision dienen –, so erfüllt dies unser Leben mit Sinn, gibt uns Inspiration und nicht zuletzt auch eine Messlatte zur Bewertung unserer Entscheidungen.
Das eigene Verhalten mit unserer größeren Vision in Einklang zu bringen kann besonders für Frauen, die in Unternehmen angestellt sind, eine Herausforderung sein. Wie wir bereits gesehen haben, sind die traditionellen Vorstellungen, |120| was am Arbeitsplatz »der Mühe wert« ist, nicht unbedingt dazu angetan, weibliches Engagement zu fördern. Auch die strategischen Wahrnehmungen von Frauen werden oft nicht anerkannt. Unsere Zufriedenheitsstudie sowie die übrigen Forschungsergebnisse, die wir in Kapitel 5 vorstellten, verdeutlichen, dass viele Frauen soziale Beziehungen für deutlich wichtiger halten als wettbewerbsorientierte Rankings. Es ist also kaum verwunderlich, dass Unternehmensziele und Unternehmensleitbilder, die sich auf numerische Aussagen beschränken, für Frauen keinen tieferen Sinn ergeben.
Als Sally im Jahre 2004 an einem Retreat für weibliche Führungskräfte bei Company A teilnahm, einem weltweit führenden medizintechnischen Zulieferer, wurde ihr diese Tatsache nochmals besonders vor Augen geführt. Company A war ein Blue Chip, ein Unternehmen mit besonders hohem Wert also, dessen Gewinn ebenso wie sein Ruf gelitten hatte, als es eine aggressive Akquisepolitik betrieb. Es stellte sich heraus, dass bei etlichen der von dem Unternehmen gekauften Firmen die Bilanzen nicht stimmten. Da nun Verluste ausgeglichen werden mussten, gab Company A den Druck an die Angestellten weiter, die sich nun ständig mit der Situation konfrontiert sahen, Kosten rechtfertigen oder minimieren zu müssen. Das wiederum führte zu einer Verschlechterung der Arbeitsmoral. Die Menschen reagierten mit Erschöpfung, weil sie ständig Brandherde löschen mussten und waren entsetzt, weil ihre Firma – die bis zu diesem Zeitpunkt zu den umsatzstärksten und angesehensten gehört hatte – plötzlich im Zentrum negativer Aufmerksamkeit stand.
|121| Dies war die Grundstimmung, als etwa dreihundert Frauen aus leitenden Positionen in unterschiedlichen Abteilungen sich zu einem Retreat im Hauptsitz der Firma versammelten. Den Großteil der Zeit hörten sie den Diskussionsteilnehmern und Rednern zu, die ihnen wichtige Erkenntnisse aus der Praxis oder Forschungsergebnisse vorstellten. Der Höhepunkt des Programms war eine Präsentation durch ein Mitglied des neunköpfigen Vorstandes. Seine Teilnahme an der Konferenz wurde als Beweis dafür gewertet, wie sehr Company A ihre aufstrebenden weiblichen Mitarbeiterinnen schätzte, und dass man wusste, welche wichtige Rolle sie für den Unternehmenserfolg spielten.
Die erste Folie der PowerPoint-Präsentation verkündete
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