Die beste Lage: Roman (German Edition)
Entschädigung – tatsächlich nur einem Spottgeld – abspeist, ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Marktwert der Ländereien, der, wie im Fall Michelantonios, viel höher sein konnte. Der arbeitsame Latifundienbesitzer, der sich selbst noch weniger gönnte als das Wenige, das er seinen Tagelöhnern zukommen ließ, hatte praktisch alles, was er besaß, investiert, um einen modernen landwirtschaftlichen Musterbetrieb aufzubauen.
Eine Ironie, die noch an Schärfe gewinnt, wenn man bedenkt – aber das konnte der unglückliche Großgrundbesitzer vorläufig noch gar nicht wissen –, dass Italien, dieses »Scheißland«, kaum ein paar Jahre nach Kriegsende von einer besiegten Nation zur fünften Weltmacht aufsteigen sollte, unter anderem eben dank der Ursache seines Unglücks, nämlich der industriellen Nutzung des Methangases, das zuerst in der Poebene und dann in der Basilikata entdeckt worden war, und zwar von einem gewissen Enrico Mattei, den manche aus wenig verwunderlichen Gründen zu einem Heiligen machen wollten. Aber selbst wenn Michelantonio das alles gewusst hätte, hätte es sich nicht weiter auf seinen seelischen Zustand ausgewirkt, denn schlimmer als jetzt konnte es ihm gar nicht gehen.
Seit dem Tag der großen Entdeckung – und wer könnte je diesen 20. Januar des Jahres 1959 vergessen, als das Gas endlich aus dem Bohrloch Ferrandina 1 entwichen war, sich »wie eine sommerliche Fata Morgana durch die allerdings kalte Luft des anbrechenden Morgens bewegte und die stolze, sechs Meter hohe Fackel heller leuchtete als die am Himmel glänzenden Sterne«, wie ein lokaler Chronist schwülstig geschrieben und damit Massen von Schaulustigen, selbst aus Matera, angelockt hatte –, seit jenem unvergesslichen Tag also, oder besser gesagt, seit jener denkwürdigen Nacht, sah sich Michelantonio bereits wie eine der Figuren aus dem Film Giganten , den er sich kurz zuvor in Matera angeschaut hatte, mit großem Cowboyhut auf dem Kopf und Zigarre im Mund am Steuer eines Cadillac Eldorado sitzend – nun ja, in dieser Situation wäre es wirklich dämlich gewesen, noch mit seinem schwarzen Fiat 600 herumzukurven –, wie er auf der staubigen Ebene von Ferrandina die in die Höhe schießenden Fontänen seiner Quellen inspizierte.
Stattdessen würde man ihn nun all seiner Besitzungen berauben … Bei jedem Ruckeln des Zuges blutete ihm das Herz wie ein Gefäß, das keines weiteren Tropfens bedurfte, um überzulaufen. Man hätte meinen können, dass irgendjemand – und sein Blick folgte der Hochsteckfrisur vom Typ Banane der ihm gegenübersitzenden Gattin des christdemokratischen Abgeordneten und ging dann ein Stück über die kühne, tollenähnliche Spitze dieses Haargebirges hinaus –, man hätte meinen können, dachte Michelantonio, dass dieser Jemand ihm wirklich böse sein musste, denn man wollte ihm seine Ländereien jetzt schon zum zweiten Mal wegnehmen.
Beim ersten Mal hatten die Bauern sie besetzt, und auch damals war Michelantonio keinerlei göttlicher Beistand zuteil geworden. Deshalb hatte er versucht, sich der Besetzer im Alleingang zu entledigen, indem er sein Gewehr schulterte und auch ein paar Schüsse abgab, aber am Ende hatte er diesen Hungerleidern sogar ein schönes Stück abtreten müssen – und sie hätten ihm noch mehr abgezwackt, hätte er nicht zu einem Trick gegriffen und das Latifundium parzelliert und verkauft, wobei die Kaufverträge, wie der Zufall so spielt, allesamt die Unterschrift von Kriegsvermissten trugen.
Von wegen Agrarreform! Diebstahl war es! So weit war man gekommen, dass man schon das Besitzrecht antastete. Was konnte man andererseits erwarten, dachte er, wenn den Leuten – und er blickte wieder weit über die christdemokratische Banane hinaus – eingeredet wurde, dass Reichsein so viel heißt wie Sündigen und dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein Reicher ins Himmelreich ? Warum, verdammt noch mal, sollte man auch ein Kamel durch ein Nadelöhr zwängen? Tatsächlich sprach das Evangelium von einem »Tau«, das sich durch einen Übersetzungsfehler in das bizarre Tier verwandelt hatte – aber wer wusste das schon? Beduinenquatsch, dachte Michelantonio, und in der Kirche verzapfen sie ihn alle Tage, und diese Dummköpfe – die Bauern, die Armen, also eigentlich alle seine Mitbürger – glauben das auch noch, trotz des Blödsinns mit dem Kamel, und sie hassen dich und schauen dich böse an, sehr böse sogar, so, wie in dem Moment, als er die Piazza
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