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Die beste Lage: Roman (German Edition)

Die beste Lage: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Lage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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konnte, wobei es natürlich in deren Interesse lag, den Anhänger sorgsam unter den Kleidern versteckt zu halten, damit sich das Gerücht von dem peinlichen Leiden nicht verbreitete.
    Rituale wurden unter Ausstreuung von Pulvern und während des Aufsagens von Zauberformeln durchgeführt, als da waren:
    Maulwurf, Hahn und Kröte,
gegen den bösen Blick helft,
ihr Amulette und Hörnchen!
    Oder:
    Hornissenauge, Maulwurfsklaue, Mäusepfote,
Ihr drei, zaubert weg den bösen Blick!
    Darunter wurden noch Verse aus dem Johannesevangelium gemischt. Schließlich wurden die Amulette dem leidgeprüften Besucher ausgehändigt, der fast ebenso ungeduldig wie auf die Befreiung vom bösen Blick darauf wartete, bei der erstbesten Gelegenheit an die frische Luft fliehen und dem grauenhaften Pestgestank dieser Höhle mit ihren schlecht balsamierten, wenn nicht gar verwesten Kadaverteilen zu entkommen. In den wirklich hoffnungslosen Fällen und das, seit der Fortschritt Einzug gehalten hatte, auch erst dann, wenn die Schulmedizin mit ihrem Latein am Ende zu sein schien, begab sich die Sabbernde persönlich ins Haus des Betroffenen, um ihren Dienst direkt am Bett des Kranken zu versehen.
    Daran, dass Michelantonio ein hoffnungsloser Fall war, bestand kein Zweifel, denn der unglückliche Großgrundbesitzer hatte bereits Don Enrico empfangen, zusammen mit einem Ministranten, der mit allem für die Letzte Ölung Notwendigen ausgestattet war. »Er bringt ihm den Pass für drüben.« – »Vorher salbt er ihm noch die Pfoten.« So lauteten die zynischen Kommentare der üblichen Tagediebe, die sich nach Sonnenuntergang im Danubio blu aufhielten, der zweiten und dank des begehrten Phonola-Fernsehapparats moderneren Bar des Dorfs genau gegenüber vom Domizil des Moribunden. Angesichts der ihm entgegengebrachten Sympathie dachte niemand auch nur im Traum daran, den Kommentaren ein »Er ist in Gottes Hand« folgen zu lassen, jene Formel also, die man gewöhnlich zum Zeichen frommer Ergebung anfügte. Und es erregte auch überhaupt kein Aufsehen, als man kaum eine Stunde später am Ende des Sträßchens, das zur Piazza hinaufführte, die Zauberin Lia auftauchen sah. Von der Arthrose um neunzig Grad gebeugt, hing ihr der Rock wie eine Glocke auf die Füße hinab, während ihr auf der anderen Seite der Schal vom Kopf herabwallte, sodass sie, ganz in Schwarz, an eine Kakerlake erinnerte oder gar an den animierten Telefonhörer aus der Sendung Carosello – die man just am Abend zuvor im Danubio blu gesehen hatte, wo sich in der eigens eingerichteten Fernsehstube die Bauern drängten und nicht nur vor sich hin müffelten, sondern auch aus dem Staunen nicht mehr herauskamen angesichts dieses neuen Wunders des Fortschritts. Sie stieg nun, fast den Boden streifend, so flink nach oben, als würde ein lautloser, aber unerbittlicher Turbinenmotor sie den Hang hinaufschieben, bis über das Portal hinaus und noch weiter nach oben, die Freitreppe hoch, die man vom Hof aus sah, bis vor die Haustür, welche sich alsbald vor dem Gesicht eines der beiden buckligen Dienstmädchen öffnete.
    Am Abend desselben Tages waren sie wieder zu zweit unterwegs, die Buckligen, und erzählten den Frauen, die aus der Abendmesse kamen und die Neuigkeit dann ihrerseits in jeden Winkel des Dorfes bis in die entlegensten Landhäuser verbreiten würden, dass die alte Hexe – sie war so alt, dass sich keiner mehr an ihr Alter erinnerte –, sobald sie eingetreten war, gleich vor dem großen Kamin im ersten Saal des Palazzo, der, nebenbei bemerkt, mindestens vierzig solcher Säle enthielt, stehen zu bleiben beliebte. Und als wäre es ihre, der Buckligen, Aufgabe, durften sie auf Anweisung von Donna Cesidia, die selbstverständlich nicht mit Hand anlegte, das, was vom Padrone noch übrig und fest in eine Decke gewickelt war und eher einer Mumie glich, auf einem Stuhl durch die lange Flucht von Gemächern tragen. – »Eine mommia, ehm .«
    Lia ging um ihn herum und betrachtete ihn. Der rechte Winkel, den ihr Rücken nunmehr bildete, hatte ihre Statur allerdings derart verkürzt, dass sie, die Buckligen, die Hexe hatten hochheben müssen, als sie ihm unter die Lider schauen wollte, was ihnen eine so anstrengende Haltung abverlangte, dass sie die Alte schlagartig hatten fallen lassen.
    Auf dem Boden gelandet, rutschte Lia, als wäre nichts gewesen, dreimal auf den Knien um den Kranken herum und hielt bei jeder Runde inne, um dreimal mit der Stirn gegen den Fußboden zu schlagen – der

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