Die beste Lage: Roman (German Edition)
eleganten Französisch ihre Lage.
Trepulow saß auf einem Stuhl, stützte das Kinn auf einen knotigen Stock und kippte den Wodka, ohne ihnen davon angeboten zu haben, aus einem Fläschchen direkt in seinen Schlund. Mit versteinerter Miene lauschte er dem Italiener, der erklärte, ein Kollege und großer Bewunderer von ihm zu sein. Als er jedoch im Namen der gemeinsamen Verpflichtung gegenüber der Kunst gebeten wurde, sich für sie einzusetzen, da sie sich jetzt, nachdem sie als überzeugte Gegner des faschistischen Regimes beschlossen hatten, Italien den Rücken zu kehren und nach Russland zu fliehen, mittellos in einem fremden Land wiederfanden, verzog der alte Maestro plötzlich das ausdruckslose Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse und krümmte sich zusammen, als hätte eines seiner lebensnotwendigen Organe soeben den Todesstoß erhalten.
Die beiden starrten ihn wie vom Donner gerührt an, überzeugt, dass ihn infolge des – zumal zu dieser morgendlichen Stunde – genossenen Wodkas der Schlag getroffen habe, und verabschiedeten sich innerlich bereits von dem Gedanken, dass er ihnen weiterhelfen könne, als sie ihn in ein lautes sardonisches Lachen ausbrechen hörten – jenes typisch russische Gelächter, mit dem uns in der Folgezeit der Tonfilm vertraut machen sollte.
Doch die Sprache, derer er sich bediente, sobald er sich wieder gefangen hatte, war alles andere als Russisch. »Ihr seid echte Vollidioten, ma veramend «, legte er im reinsten neapolitanischen Dialekt los. Nicht umsonst hatte er zehn Jahre auf Capri verbracht!
»Nein, ich kann’s nicht fassen! Ihr wollt mir also weismachen, dass ihr aus Italien, diesem gottgesegneten Land, nach Russland geflohen seid? Entweder ihr seid verrückt oder dumm oder beides. Wisst ihr denn nicht, dass Mussolini bloß ein Schaumschläger ist im Vergleich zu diesem Stück Scheiße hier?« Und er deutete mit seinem knotigen Stock auf das erstbeste Bildnis des Väterchens, dessen Blick sofort weniger gütig wirkte. »Wisst ihr denn nicht, dass dieser strunzemmerda uns alle umbringt? Ich bin sechzig, und meine Freunde sind alle tot, und ich, wie ihr seht …« – er zeigte mit einer Kreisbewegung seines Stocks auf seine gesammelten Werke –, »… ihr seht, dass ich das gemalt habe, um zu leben, wenn man das leben nennen will … Und jetzt haut schon ab!«, endete er abrupt und ging, wie es für Betrunkene so typisch ist, unvermittelt vom Lachen ins Weinen über. Ein verzweifeltes Weinen, das so herzerweichend war, dass Carmine Addario, statt seiner schroffen Aufforderung Folge zu leisten, auf ihn zuging, ihn in die Arme nahm und ebenfalls wie ein Schlosshund losheulte.
Und genau dieser Geste, die gewiss nicht vom Mitleid mit diesem Mann diktiert war, sondern von der Mutlosigkeit, die sich des Jungen in einem nie gekannten Maße bemächtigt hatte – obwohl das Leben ihm mehr als eine Gelegenheit dazu geboten hatte, aber sich im eigenen Haus elend zu fühlen, schmerzt viel weniger als in dem anderer Leute –, ebendieser Umarmung verdankte Michail Nikolajewitsch Trepulow die Erkenntnis, dass er sich in Gesellschaft von Freunden befand.
O sole mio
Später, in der angenehmen Wärme der Datscha, während draußen langsam der Schnee herabrieselte, alles einhüllte und die Tannen wie riesige, im Schneegestöber verirrte Gespenster erscheinen ließ, an einem tadellos gedeckten Tisch, nach angelegentlichen Erkundigungen nach Capri und den Capresen – »Gibt es immer noch diesen Typ mit der Mütze, der auf der Piazzetta herumparadiert? … Und diese schicken Leute im Quisisana? … Und den Kiosk von Aurelio? … Mmm, wie fein sie war, diese Granita al limone, und erst die Abendluft da oben, beim Palast des Tiberius!« –, nachdem er sich wiederholt verflucht hatte, weil er in seine Heimat zurückgekehrt war – »Wäre ich doch bloß dort geblieben! Ich verfluche mich, weil ich so beknackt war, aber auch ich habe an diesen Scheißkerl und den Quatsch mit der Sonne der Zukunft geglaubt, dabei habt ihr sie doch schon, ›o sole mio! chiù bello, oi ne’, ma n atu sole, o sole mio sta nfronte a te‹ « – und nachdem er zum x-ten Mal dawaj popjom , »los, besaufen wir uns!«, gebrüllt hatte, dem er mit Tränen in den Augen ob dieser glücklichen Zeiten, die niemals wiederkehren würden, eine grausame Neuinterpretation des neapolitanischen Melodienrepertoires folgen ließ, erst dann ging der russische Maler endlich auf den Anlass ihres Besuchs ein und sagte, nachdem
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