Die beste Lage: Roman (German Edition)
üppiges Schmiergeld gezahlt hatte – gelungen war, sich dem Reservekontingent in Palermo zuteilen zu lassen, wo er die Offiziersmesse leitete und seinen Tag mit dem Befehl beginnen konnte, ihm zum Frühstück ein ganzes gebratenes Huhn zu bringen – etwas, was er sich immer schon gewünscht, sich aber wegen seines notorischen Geizes bis dahin noch nie gegönnt hatte.
Unterdessen hatte Ernesto während seiner gefährlichen Gespräche mit den anderen im Exil lebenden Italienern vom Krieg in Spanien erfahren und mitbekommen, dass einige von ihnen den Antrag gestellt hatten, daran teilnehmen zu dürfen, denn für viele war es die letzte Hoffnung, Russland entfliehen und sich dem Großen Stalin’schen Terror, dessen krimineller Furor in der Zwischenzeit seinen Zenit erreicht hatte, entziehen zu können. Das würde er auch tun, natürlich ohne die Absicht, in irgendeinen Krieg zu ziehen – für den Kommunismus kämpfen, nachdem er gesehen hatte, worum es sich dabei handelte? Schon bei dem bloßen Gedanken musste man ja verrückt sein! Sobald er dieser Hölle entronnen wäre, würde er sich in eines der freien Länder absetzen, die es noch gab. Nach England oder vielleicht nach Frankreich. O ja, nach Paris oder in irgendein Fischerdorf in der Provence! Und schon ergötzte ihn der Gedanke an seine künftigen Tage, an die lichterfüllten Bilder, die er wieder malen würde, und die Abende in den Tavernen voller Wein, Weib und Gesang, wenn das, was er durchlitten hatte, nur noch eine ferne Erinnerung sein würde. Aber um die Ausreisegenehmigung zu erhalten, mussten sich die Kandidaten von den italienischen Kommunistenführern und insbesondere, wie man ihm gesagt hatte, von einem gewissen Ercoli die erforderliche leninistische Linientreue bestätigen lassen. Aber wer hätte, offen gestanden, Ernesto, den arglosen, naiven Ernesto, je einen Leninisten nennen können, nach all den falschen Schritten, die er getan hatte?
Der Beste
So fiel das Urteil nicht günstig aus, und von Ernesto verlor sich, wie von vielen anderen Italienern, über die ein ähnliches Verdikt ausgesprochen worden war, bald jegliche Spur. Carmine Addario brachte nur in Erfahrung, dass er unter der üblichen Anklage des Trotzkismus zu fünfzehn Jahren Zwangsarbeit im Gulag von Uchta-Petschora verurteilt worden war und dass sein hoffnungsvolles Leben dort nach kaum sechs Monaten jämmerlich geendet hatte.
Das war das quälendste der Geheimnisse, die Carmine Addario, wie er seinem General versprochen hatte, für sich behielt, als ihm – fast zehn Jahre nach Kriegsende – die Rückkehr nach Italien gestattet wurde, wo es bei den geglätteten Wogen der Friedenszeiten sowieso besser war, wenn zum Beispiel niemand erfuhr, dass der Genosse Ercoli alias Palmiro Togliatti, auch »der Beste« genannt, höchstwahrscheinlich für den Tod von viel mehr italienischen Kommunisten verantwortlich war als Mussolini.
Nicht einmal Michelantonio erzählte er etwas, der sich, obwohl er sich inzwischen die Ländereien seines Vetters angeeignet hatte, mit dessen Verlust nicht abfinden konnte und der Addario mehrfach beschworen hatte, ihm die Wahrheit zu sagen: »Ihr seid zusammen abgereist wie Brüder, und jetzt willst du mir weismachen, dass du nichts weißt … Das glaube ich dir nicht. Ein Kain bist du, ein Judas!«
Aber was hätte Addario schon tun sollen? Er war nicht mehr der Jüngste und konnte nichts und hatte nichts und musste irgendwie weiterleben. Deshalb hielt er den Mund und akzeptierte das mickrige Gewerkschaftergehalt, das ihm die Partei angeboten hatte, in der man ihn wegen seiner Erlebnisse als verfolgter Antifaschist wie einen Helden behandelte. In der Zwischenzeit würde er sich umschauen und auf eine bessere Gelegenheit warten. Hinzu kam, dass die Zeiten der Landbesetzungen vorbei waren und er nicht viel mehr zu tun hatte, als das Büro auf- und zuzuschließen und ein paar Versammlungen zu organisieren. Gewiss nichts von der Art der hitzigen Veranstaltung tags zuvor, die erst zu später Stunde zu Ende gegangen war und an die er jetzt erneut zurückdachte, als er im Bett seines eiskalten Hauses erwachte und eine Zigarette rauchte – unter einem Bild von Lenin, der wie ein Titan dastand und vor den Massen eine Rede hielt, und über einer Feldmaus, die irgendwo im Halbdämmer umhertrippelte.
Das Licht des Morgens erleuchtet den Geist
An der Versammlung hatten alle Bauern des Dorfes teilgenommen, jetzt, da plötzlich dieser Tumult um Michelantonio
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