Die beste Lage: Roman (German Edition)
Cesidia, dass er bestimmt bald positive Nachrichten zu überbringen habe, worauf er allerdings, als er sich von ihr verabschiedete und einen Blick ins andere Zimmer warf, ein kleines Lächeln über die ansonsten so düstere Maske des Beinaheleichnams huschen zu sehen vermeinte – aber vielleicht hatten sich auch nur die im Kamin züngelnden Flammen in dem Wachs widergespiegelt, aus dem diese Maske modelliert zu sein schien.
Noch immer erschöpft von der endlosen Versammlung, die er tags zuvor im Gewerkschaftsgebäude abgehalten hatte, dachte er mitten in der Nacht wieder daran zurück, als er steif im Bett des eiskalten Mauselochs lag, in dem er seit seiner Rückkehr aus dem Krieg alleine hauste. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Er war natürlich in überhaupt keinen Krieg gezogen, sondern vielmehr nach Russland geflohen, um eben nicht in den Krieg ziehen zu müssen – und davor hatte er eigentlich auch nicht viel mehr getan, als auf die Jagd und gelegentlich auf Diebestouren zu gehen. Als Waisenkind ohne Familie und ohne die Absicht, jemals eine zu gründen, lebte er in den Tag hinein und kannte nur eine einzige große Leidenschaft: das Billard. Und dem Umstand, dass er Billard spielte, hatte er seine Bekanntschaft mit Ernesto Dell’Arco zu verdanken, der seinerseits vielen Leidenschaften frönte.
Den Namen Ernesto zu tragen, ist eine ernste Angelegenheit
Ernesto war Michelantonios Vetter und, obwohl sie wie Brüder aufgewachsen waren, in jeder Hinsicht das Gegenteil von ihm.
Schön, gebildet, freigebig und elegant, lebte Ernesto seit den Jahren, in denen er Kunst studiert hatte, in Neapel, wo er sich in der Folge bald als Maler einen Namen gemacht hatte. Bisweilen sah man ihn auf einem seiner funkelnagelneuen Motorräder in den Süden zurückkehren, angetrieben von Heimweh und Familiensinn – und dies, obwohl Michelantonio sein einziger noch lebender Verwandter war – sowie von dem Gedanken, in seinen Bildern das Licht jener Gegend einzufangen, das er »einzigartig« nannte, wie es jeder Maler vom Licht des Landstrichs, den er aus irgendeinem Grund besonders liebt, gern behauptet.
Die Frauen waren verrückt nach ihm. Aber auch für seine männlichen Altersgenossen war er eine Legende. Für sie stand Ernesto auf einer Stufe mit den Filmstars, weil er, wie man sich erzählte, auf Capri, wo er einen großen Teil der schönen Jahreszeit verbrachte, unter ebenjener Schar Auserwählter seine besten Freunde hatte. Die einzige Gelegenheit, sich ihm, wenn er sich nicht gerade in sein Atelier zurückzog oder aufs Land ging, um en plein air ein paar eigentümliche Ansichten zu malen, anzunähern und Freundschaft mit ihm zu schließen – worauf jedermann erpicht war –, bot das Billardspiel. Aber auch das war ein seltenes Privileg, denn um ihm die Stirn bieten zu können, musste man ein Spieler sein, wie es nur wenige im Lande gab. Und der Geschickteste unter diesen Wenigen war zweifellos Carmine Addario.
Ernesto fand ihn wegen seines Auftretens als naiver Draufgänger, durch das er es sich mit der übrigen Bevölkerung verdorben hatte, auf Anhieb sympathisch. Und so kam es, dass man sie, wenn der Maler aus Neapel oder irgendeiner Hauptstadt Europas zurückkehrte – das Reisen war eine weitere seiner Leidenschaften –, immer häufiger zusammen auf irgendeinem Feldweg sah, vertieft in lange Gespräche, in deren Verlauf Ernesto Dell’Arco, der klassische Typ des Süditalieners normannischer Abstammung und eine blendende Erscheinung mit seinen schönen sandfarbenen Anzügen, der aufrechten Haltung und den blonden, unter einem seiner eleganten Hüte hervorglänzenden Haaren, von den letzten Neuigkeiten des Lebens in jenen großen Städten berichtete und sich über das Staunen seines jungen Landsmanns amüsierte, der schon bald sein Lieblingsvertrauter wurde. Das ging so weit, dass es Ernesto eines Tages ganz natürlich erschien, ihm seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zu offenbaren.
Ein Geheimnis, das im Dorf seltsamerweise keiner kannte, trotz der Schreie, die durch die Säle des Palazzo Dell’Arco gehallt waren, als Michelantonio darüber in Kenntnis gesetzt worden war – offensichtlich waren die beiden Buckligen zu jenem Zeitpunkt gerade mit den Leidenschaften ihrer jungen Jahre beschäftigt gewesen, denn bevor sie sich in gefürchtete Frömmlerinnen verwandelten, hatten sie eher als Frevlerinnen von sich reden gemacht und entweder herumgehurt oder gesoffen oder beiden Lastern
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