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Die beste Lage: Roman (German Edition)

Die beste Lage: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Lage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
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er sich in die Hand geschnäuzt und sie am Saum des Tischtuchs abgewischt hatte: »Jetzt schauen wir mal, wie ich euch helfen kann. Du bist, wenn ich recht verstanden habe, Künstler«, wandte er sich nachdenklich an Ernesto. »Und du, bello guaglione «, fragte er den anderen lächelnd, »was machst du?«
    Dem solchermaßen als schöner Jüngling Titulierten blieb die Spucke weg, und in der Hoffnung, dass Ernesto ihm beispringen würde, sah er diesen an, der achselzuckend antwortete: »Er ist ja noch so jung … Aber eines kann er perfekt: Billard spielen.«
    Da hellte sich das Gesicht des russischen Meisters schlagartig auf. »Du hast Glück, junger Mann! Ich habe einen Freund, der bringt dich unter.«
    Und so kam es, dass Carmine Addario Bursche von General Andrej Juljewitsch Semkowski wurde, einem Kommunisten der ersten Stunde, der fürs Erste auf wunderbare Weise dem Stalin’schen Gemetzel entgangen war, und einem großen Liebhaber des Billardspiels. Carmines einzige Aufgabe bestand praktisch darin, ihm als Spielpartner zu dienen, ein Auftrag, der einerseits den Fortschritten des Ferrandinesen in diesem edlen Sport ein Ende setzte – da Semkowski zwar ein mittelmäßiger Spieler war, aber doch auch ein russischer General, der nichts so sehr hasste wie zu verlieren –, ihm aber andererseits letztlich das Leben rettete.
    Heimweh
    Ernesto Dell’Arco dagegen blieb als Helfer im Atelier von Michail Nikolajewitsch, und es gelang ihm sogar, ein paar Monate lang einen Schimmer vom Licht seiner Heimat in die tristen sowjetischen Motive einzubringen, wenngleich es ihm schon bald unerträglich wurde, sich mit diesen Bildern abzuplagen, die allerdings Stalins Leidenschaft waren und der einzige Grund, weshalb Trepulow trotz seines kaum verhohlenen konterrevolutionären Defätismus noch nicht in Sibirien gelandet war. Doch was Ernesto, offen gestanden, wirklich daran hinderte, sich in einen der zahlreichen Künstler des Regimes zu verwandeln, war weniger sein ungezügeltes Temperament als vielmehr die Erfahrung, die er im Leben gemacht hatte, einem Leben, das frei gewesen war von jenen Beschwernissen, die in dem jungen, schicksalsergebenen Addario ganz andere Anpassungsfähigkeiten entwickelt hatten. Für Ernesto war alles besser, als den ständig betrunkenen Trepulow, seine fortgesetzten Weinkrämpfe und seine neapolitanischen Lieder zu ertragen – auch wenn es, wie er leider bald feststellen sollte, viel Schlimmeres gab als von einem sternhagelvollen Russen gesungene neapolitanische Lieder.
    Er verließ also, sobald er sich eine kleine Summe zusammengespart hatte, das Haus des sowjetischen Kollegen, mit der Idee im Hinterkopf, sich schnellstmöglich und mit welchen Mitteln auch immer aus diesem Unglücksland zu trollen. Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger konnte er verstehen, wie er ausgerechnet auf Russland hatte verfallen können, und während er darauf wartete, sein Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, begann auch er zu trinken, und, wenn er trank, seinen Landsleuten von seinen Fluchtplänen zu erzählen, ungeachtet der unerbittlichen Stalin’schen Polizei, die alles kontrollierte und der alle, Trepulow zufolge selbst die italienischen Kommunisten, eifrig zu
arbeiteten.
    Darüber hinaus fing er an, seinem Vetter zu schreiben, dass er ihm Geld schicken solle. Vollkommen harmlose Briefe ohne irgendwelche politischen Fallstricke, die aber wegen des impliziten Eingeständnisses, dass der kommunistische Staat seine Bürger nicht ernähren konnte, genügt hätten, ihn auf der Grundlage des berüchtigten Artikels 58 wegen »antisowjetischer Umtriebe« zu bestrafen. Diese Briefe wurden allerdings nie beantwortet, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie ihren Empfänger nie erreichten und lediglich dazu dienten, Ernesto noch tiefer ins Elend zu stürzen, denn er gelangte bald zu der Überzeugung, dass sein Vetter, den so sehr zu lieben er nie vermutet hätte, im fernen Afrika zu Tode gekommen sein müsse. Trotz seiner misslichen Lage verging kein Tag, an dem er nicht bitterlich um ihn weinte und sich vorstellte, wie sein Körper in irgendeiner erbarmungslosen Wüste von Geiern ausgeweidet oder im Zuge kannibalistischer Ordalien zerlegt wurde, während der ahnungslose Michelantonio es sich zur gleichen frühsommerlichen Zeit am Strand von Mondello gut gehen ließ, nachdem es ihm mit der klassischsten aller italienischen Methoden – indem er nämlich einem Obersten des Stabes ein nicht einmal besonders

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