Die beste Lage: Roman (German Edition)
gleichzeitig gefrönt.
So hatte nur Ernesto gehört, was Michelantonio ihm entgegenschrie: »Du bist wahnsinnig! Weißt du denn nicht, dass du, wenn die Faschisten dich erwischen, in der Verbannung landest? Wo hat man außerdem schon je einen kommunistischen Großgrundbesitzer gesehen? Du weißt doch, dass die Kommunisten dir die Ländereien wegnehmen! Und damit begnügen sie sich nicht! Auch das Leben nehmen sie dir, diese Banditen!« Und er dachte für sich, dass er, wenn die Dinge so stünden, wirklich gut daran täte, Ernesto alles zu entziehen. Da er sein Verwalter war, wäre das ein Leichtes für ihn gewesen. Doch wenn Michelantonio neben seinen tausend Fehlern eine Tugend besaß, dann war es wohl die Treue zu den Blutsbanden, sodass er sich auch nach dieser Eröffnung darauf beschränkte, die Einkünfte, wie üblich, um zehn, zwanzig Prozent zu seinen Gunsten aufzurunden – ohne ihn wäre sowieso alles den Bach runtergegangen –, und sich ansonsten schnell daran gewöhnte, in dieser Verirrung seines Vetters die x-te Spinnerei eines Künstlers zu sehen.
Tatsächlich war Ernesto genau in dem Sinne Kommunist wie ein großer Teil der Künstler, die er in jenen Jahren in Paris und auf seinen Reisen durch Europa kennengelernt hatte. Damit wir uns recht verstehen: Alle waren sie in die hehren Ideale verliebt, die diesem Glauben zugrunde liegen – wie hätte es auch anders sein können, da sie doch mit jener besonderen Sensibilität begabt waren, die sie zu auserwählten Geistern machte. Auch wenn es dann ausgerechnet diese Sensibilität war, die sie daran hinderte, den ganzen Rest zu ertragen, was für den lukanischen Maler umso mehr galt, als er bereits die wenigen Zellensitzungen, an denen er teilgenommen hatte – allein schon der Begriff »Zellensitzung« löste eine allergische Reaktion bei ihm aus –, wie jede andere politische Versammlung als unerträglich empfunden hatte.
Trotzdem schätzten ihn die Genossen wegen seiner Berühmtheit sehr, und als er den Einberufungsbefehl zum Abessinienfeldzug erhielt, beschloss er, der den Krieg mehr als alles andere hasste, ausgerechnet nach Russland zu fliehen, und zwar gewiss nicht, um zu überprüfen, wie es dort mit der Schaffung des neuen Menschen voranging, sondern aus einem ganz anderen, viel banaleren Grund: Es war das einzige Land in Europa, das er noch nicht gesehen hatte. Es bereitete ihm keine Mühe, von den Großkopfeten der Partei die Bescheinigung eines »treuen und verdienstvollen Kämpfers« ausgestellt zu bekommen, denn die war für die Einreise in jenes große, unendlich weite und großzügige Land unabdingbar.
Nun begab es sich, dass der Einberufungsbefehl auch bei Michelantonio und Carmine Addario eintraf. Natürlich schlug Ernesto, gutherzig, wie er war, sowohl seinem Vetter als auch seinem jungen Freund dieselbe Lösung vor.
Michelantonio sah ihn an, wie er ihn gewöhnlich ansah, nämlich wie einen Irren. »Du schlägst mir im Ernst vor, nach Russland zu fliehen? Weißt du denn nicht, was die Kommunisten aus Leuten wie uns machen?«
Über die Starrköpfigkeit seines Vetters untröstlich, beschränkte sich Ernesto darauf, ihn anzulächeln. Ach, hätte er doch bloß auf ihn gehört!
Carmine Addario dagegen, der nichts zu verlieren hatte als sein Leben – und das stellte er zu Recht über alles andere –, war sich sofort sicher, dass er es nicht in irgendeinem blöden Krieg verlieren wollte. Natürlich war es nicht leicht, aber am Ende gelang es Ernesto, sich von den leitenden Funktionären der Kommunistischen Partei auch für ihn die erwiesene Linientreue bescheinigen zu lassen, indem er die kleinen Probleme, die Carmine mit der Justiz gehabt hatte, zu Schikanen erklärte, die er eben aufgrund seines glühenden Antifaschismus erlitten habe.
Die Sonne der Zukunft
So begaben sich die beiden Freunde an einem milden Oktobertag gemeinsam auf die Flucht und landeten nach einer langen, abenteuerlichen Reise, die einen beträchtlichen Teil der Summe aufzehrte, die Ernesto hatte mitnehmen können, im Schoß der großen Mutter Russland, in der Hoffnung, dort die Sonne der Zukunft strahlen zu sehen.
Schnee und Kälte – sie fanden nichts anderes vor als Schnee und Kälte. Und kalt war auch der Empfang, der ihnen von den im Exil lebenden Führern der Kommunistischen Partei Italiens zuteil wurde, wohl auch deshalb, weil die Leute schon an ihrem ersten Abend in der italienischen Sektion des Internationalen Klubs der Emigranten begriffen, aus welchem
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