Die beste Lage: Roman (German Edition)
deine Mutter um alles kümmern. Sie ist doch so auf Zack, diese Frau! Ich habe leider andere Verpflichtungen. Arbeit , meine Liebe« – und damit hatte er sie einfach stehen lassen und ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen, ohne auch nur zu verraten, wohin er reiste.
Wie groß war seine Genugtuung gewesen!
Sicher, er hätte sehr gut zwischen Potenza und Ferrandina hin- und herpendeln können, aber er musste sich so lange wie möglich von seiner Frau und dem Rest fernhalten.
Außerdem kam es ihm wirklich gelegen, nach dem Bad in der Schickeria, das er auf Sardinien genommen hatte, ein paar Tage in einem abgeschiedenen Kaff zu verbringen.
Abends in die Pension zurückzukehren, die Piazza zu überqueren und die nach frischem Brot duftenden Serpentinensträßchen zum oberen Teil des Dorfs hochzusteigen, während die Bauern und ihre kleinen Buben ihn anstarrten, als wäre er wer-weiß-was-für eine geheimnisvolle Persönlichkeit, und schließlich unter den Fenstern der Pension anzulangen, wo er, wenn er den Blick hob, die Reihe der enormen schwarzen, zum Trocknen aufgehängten Büstenhalter der verwitweten Besitzerin und ihrer Töchter sah – all das flößte ihm eine seltsame, eine unerklärliche Ruhe ein, als hätte er sich in eine entlegene Einsiedelei zurückgezogen, um über seine Zukunft nachzudenken. Zumindest während des Tages, denn nachts konnte er nur schwer einschlafen. Er musste unbedingt eine Möglichkeit finden, wie Yarno kleinzukriegen war, musste sondieren, wo sein Schwachpunkt lag. Dazu hatte ihn Graziantonio aufgefordert. Und das war die einzige Chance, seinem Leben eine Wendung zu geben. Aber wie war dieser Typ zu packen? In Potenza hatte sich Riccardo alles ausgedruckt, was er im Internet über Yarno gefunden hatte, und jetzt verbrachte er ganze Stunden damit, diese Seiten zu studieren und die Fotos zu betrachten, auf denen der Conte, hochgewachsen und schlaksig, aus jeder Pore Eleganz und Charisma und Klasse ausströmte.
Ja, man musste es zugeben: Yarno Cantini del Canto degli Angeli glänzte ohne eigenes Zutun. Wie ein Edelstein. ›Aber auch der härteste Edelstein hat seine Bruchstelle‹, dachte Riccardo in seinen optimistischen Momenten. Dummerweise waren diese Momente so selten, dass er in den Nächten wach lag, eingezwängt zwischen diesen Gedanken und den Spiralen der durchgelegenen Matratze seines gegen eine Tuffsteinwand geschobenen Klappbetts, unter dem schwachen Licht, das durch den grauenhaften rot getüpfelten Lampenschirm seines Zimmers im Edelweiß sickerte. So nämlich hieß das schäbige Etablissement, als stünde es nicht in Ferrandina, sondern in Cortina – und in der Tat hatte genau dort der verstorbene Eigentümer, der Gemahl beziehungsweise Vater der Trägerinnen jener umwerfenden Büstenhalter, der zusammen mit vielen anderen eben durch den berühmten Methangas-Betrug von Graziantonios Vater ins Elend gestürzt war, ein kleines Vermögen zusammensparen können, das es ihm erlaubt hatte, diese Herberge aufzumachen.
Bäume, auf die sich schwer klettern lässt
Riccardo dagegen hatte überhaupt nichts zustande gebracht, seit er vor nunmehr einer Woche im Dorf eingetroffen war, in der festen Überzeugung, sehr rasch eine Idee entwickeln zu können, um Yarno frontal anzugehen, und ebenso zügig Graziantonios Stammbaum rekonstruieren zu können. Doch auch an der zweiten Front scheiterte er. Statt eines Baums hatte er nur einen Zweig gefunden, noch dazu einen spärlich belaubten: Er bestand lediglich aus der Geburtsurkunde des Urgroßvaters, datiert vom 22. Februar 1860, der, wie sollte es anders sein, Michelantonio hieß und seinerseits der Sohn eines Graziantonio Dell’Arco und einer Romilda Isoldi war. Namen ohne jeglichen Titel.
Und dennoch war das Gebäude, in dem die Familie Dell’Arco bis zu ihrer Flucht nach dem Methanbetrug gewohnt hatte, ohne jeden Zweifel ein Patrizierhaus gewesen, wie man aus seiner Stattlichkeit und den Spuren eines offensichtlich später entfernten Adelswappens über dem Portal ersehen konnte.
Tatsächlich ist das Aufspüren der Ursprünge einer Familie eine keineswegs leichte Aufgabe und erfordert Zeit und Geduld. Viel Geduld und viel Zeit, da man in völlig verschlampten Pfarrarchiven herumstöbern muss – allein in Ferrandina standen mindestens fünf Kirchen zur Auswahl –, deren Dokumente, abgesehen von den notariellen Urkunden, oft unübersichtlich oder unzugänglich sind, dennoch die einzigen Quellen darstellen, auf die man sich
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