Die beste Lage: Roman (German Edition)
goss der untergehende Mond seinen leuchtenden Schweif übers Meer. Hoch oben am Himmel begannen die Sterne munter zu blinken, und die Müdigkeit machte Platz für jene Art von Zerstreutheit, die während nächtlicher Gespräche mit Freunden früher oder später unweigerlich eintritt. Graziantonio begann, sein Gerede mit der klassischen Färbung des Dialekts zu würzen, der ebenfalls früher oder später in die Unterhaltungen mit Freunden, Landsleuten aus der Provinz zumal, einfließt, wenn sie sich nach Jahren, meistens auf Geschäftsreisen, wiedersehen.
»Ich habe gesagt, zur Markteinführung … braucht man was Besonderes , aber zu besonders sollte es auch wieder nicht sein. Ach, übrigens, Giacì, dieses Tigerzeug von diesem Primitivling von einem Australier, das muss weg … Also, ihr müsst euch-unbedingt-was-einfallen-lassen, weil damit das klar ist: Ich könnte mich an die crème de la crème der Werbebranche wenden, aber für meinen Wein will ich etwas, was aus der Gegend kommt, wo er wächst, oder wie die Franzosen sagen: du terroir « – er legte eine selbstgefällige Pause ein und lauschte dem Klang des Wortes nach. Etwas immerhin wusste auch er! – »und ihr, denke ich, seid am besten geeignet, das zu finden«, fuhr er fort. »Ihr müsst mir was Echtes, was Authentisches liefern … Darauf lege ich besonderen Wert. Und das iss nicht nur ’ne Frage des Business, das iss ’ne Frage von Stolz auf die Wurzeln … Man muss uns ja nicht immer für die letzten Deppen halten. Die Leute müssen kapieren, dass die Lukanier, wenn sie wollen, sich hinter niemandem zu verstecken brauchen … Von wegen Super-Toskaner ! Denen müssen wir’s zeigen! Und dann will ich mir unbedingt Genugtuung verschaffen. Was würde ich nicht springen lassen, um zum Beispiel einem wie Yarno Cantini eine Lektion zu erteilen.« Allein schon bei der Nennung dieses Namens sträubten sich ihm alle Haare, die aus seinem weit offenen Hemd wie der Pelz eines Braunbären hervorquollen und dieses Kleidungsstück – von einem cutter der Firma Turnbull & Asser in der Jermyn Street 71 in London nach seinen Maßen zugeschnitten – so aussehen ließen wie einen Null-acht-fünfzehn-Artikel aus einem Warenhaus, während die Glut der Cohiba zwischen seinen Lippen wie der Krater eines Vulkans glomm.
Yarno der Verfluchte
»Du weißt doch, wer das ist, oder?«, fragte er Riccardo und blies den Rauch über seinen Kopf hinweg.
Riccardo wusste es genau und war auch über die Schmach informiert, die dieser Herr Graziantonio zugefügt hatte – in Potenza hatte man, mehr als anderswo, wochenlang über nichts anderes geredet, und zwar mit diesem besonderen Vergnügen, das die Leute in der Provinz verspüren, wenn sie jene abstürzen sehen, die anderswo ihr Glück, und nicht nur das, gemacht haben –, und genau deswegen antwortete er nun, um seinen Gastgeber nicht in Verlegenheit zu bringen: »Nein, ich glaube nicht.«
»Ein Scheißkerl ist das«, erwiderte Graziantonio. »Ich hatte einen Wortwechsel mit ihm … Und ich hätte ihm bloß die richtige Antwort geben müssen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele mir im Nachhinein eingefallen sind …«
»Der berühmte esprit d’escalier «, warf Riccardo ein.
»Wie bitte?«
»Die Antwort, die du im richtigen Moment nicht parat hast und die dir zu Hause auf der Treppe einfällt – daher l’esprit d’escalier .«
»Genau, ganz genau. Exakt so war es … Kurzum, der Typ hat mich nicht an seinen Tisch gelassen, und ich bin still und leise und mit eingekniffenem Schwanz davongezogen, ohne ihm etwas zu entgegnen. Unglaublich . Aber das könnt ihr mir glauben: Ich hatte bestimmt nicht darum gebeten, mich an diesen Scheißtisch setzen zu dürfen, wie es in den Zeitungen stand … Nicht einmal das! Es war alles die Schuld dieser verluderten Schwuchtel namens Gaspare Staderini Amadei, diesem Scheißmarchese. Er war es, der mich an diesem Abend in die Bredouille gebracht hat. Ich war sehr spät dran, und er: Ach, komm, kein P w oblem, sagt er, und ich: Aber mein Tisch?, und er: Abe w mach di w keine So w gen, es sind F w eunde da, die dich e w wa w ten. Und unter den Freunden ist dieses Arschgesicht von Yarno Cantini, der zu mir sagt: Wer kennt dich schon? An meinen Tisch setzen sich nur Leute, denen ich einen Platz anbiete, und dir biete ich keinen an. So eine Blamage! Einen Moment lang habe ich sogar an ein abgekartetes Spiel geglaubt, aber nein, das kann nicht sein. Und jetzt hat man mir dieses
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