Die beste Lage: Roman (German Edition)
purpurfarbenen Reflexe gegen das Licht zu betrachten, und setzte hinzu: »Ja, Mission . Wie sonst sollte man den Dienst an einem der größten Geschenke nennen, das Gott den Menschen gemacht hat?«
Und so kam es, dass Chatryn beim Wine Spectacle anfing. Zuerst musste sie sich natürlich einer Lehrzeit unterziehen, aber Gastell hatte den richtigen Riecher gehabt. Als der große Talententdecker, der er war, hatte er den geeigneten Rohstoff gefunden. Tatsächlich lernte Chatryn in kurzer Zeit die Techniken der Degustation zu beherrschen, die sie allerdings nicht so unflexibel anwandte wie ein x-beliebiger Sommelier, sondern vielmehr in den Dienst ihres einzigartigen O utsider -Stils stellte. Nachdem Gastell ihren Nachnamen noch einmal verändert und zu Wally Triny zerlegt hatte – »Das liest sich besser und verleiht dir zusätzlichen Charme« – und eigens für sie eine Kolumne eingerichtet hatte – The Wally Triny Style –, machte er aus ihr in kürzester Zeit eine der mächtigsten und gefürchtetsten Kritikerinnen, die imstande war, mit ihrem Urteil über Erfolg und Ruin einer jeden Weinkellerei zu bestimmen. Und eine Frau, die völlig anders war als die strenge und stets abgebrannte Wissenschaftlerin von ehedem. Eine beneidete Frau mit einem glanzvollen, hektischen Leben.
Die Samenbank
Immer auf Achse, um Kellereien, Vinotheken und Lokale in jedem Teil der Welt zu testen, weil man inzwischen wirklich überall gelernt hatte, wie man Wein produziert – in Chile, in Australien, in Neuseeland, ja sogar in Griechenland –, hatte sich Chatryn rasch an den Genuss gewöhnt, der mit der Tatsache einhergeht, dass man ellenlange Reservierungslisten in Luxusrestaurants umgeht und dort mit der Zuvorkommenheit bedient wird, die nur den großen Namen vorbehalten bleibt. Doch andererseits hatte sie für ihren Job ihr Privatleben opfern müssen. So war sie, obwohl sie in der Zwischenzeit eine stattliche Anzahl von Liebhabern gehabt hatte, für eine ernsthafte Beziehung immer zu beschäftigt gewesen, mit dem Ergebnis, dass sie sich jetzt, mit fast vierzig Jahren, allein und ohne das wiederfand, wonach sie sich zu ihrer nicht geringen Verwunderung – sie war also ein Weibchen wie alle anderen auch! – am meisten sehnte: einem Kind.
Sie wünschte es sich mit jeder Faser ihres Seins. Es war ein körperliches Bedürfnis, das sie mit einer Intensität verspürte, die sehr viel größer war als jede Sehnsucht nach einem Mann. Hinzu kam, dass sie zurzeit überhaupt keinen Mann hatte und sich allein schon bei dem Gedanken, sich zu diesem Behufe einen besorgen zu müssen, unbehaglich fühlte. Im vollen Bewusstsein, dass sie sich nunmehr dem Verfallsdatum auch der kühnsten »Erstgebärenden« näherte – wann immer sie sich in dieser Rolle sah, kam sie sich wie eine nicht einmal so seltene Art von Schimpansenweibchen vor –, war sie zu dem Schluss gelangt, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich an eine Samenbank zu wenden. Doch jedes Mal, wenn sie drauf und dran war, es zu tun, tauchte irgendein Problem auf.
So auch an jenem Morgen, als Norman sie angerufen und zur x-ten Reise zum tasting französischer und italienischer Produkte gedrängt hatte.
Was hätte sie tun sollen? Noch einmal aufschieben, da es, wie sie wusste, in ihrem Alter besonders gefährlich war, sich in den ersten Wochen nach der Empfängnis auf Reisen zu begeben? Oder waren ihre Zweifel am Ende vielleicht doch der Tatsache geschuldet, dass es ihr, auch wenn sie gegenüber den Männern so etwas wie eine grollende Gleichgültigkeit entwickelt hatte, dennoch nicht gelang, sich mit dem Gedanken, ein Kind mit einem Wildfremden zu zeugen, anzufreunden? Aber konnte sie wirklich einen weiteren Auftrag annehmen, wenn sie doch in ein paar Monaten das vierzigste Lebensjahr vollendet haben würde?
Kurzum, sie stand am Scheideweg.
Als sie jedoch die E-Mail öffnete, die Riccardo Fusco ihr geschickt hatte, und seine Worte ihr so leidenschaftlich vorkamen, wie sie nicht einmal zehn Jahre zuvor geklungen hatten, begriff sie sofort, dass sie vielleicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte.
Mit welcher Miene?
Wie trittst du nach zehn Jahren einer Frau entgegen, die damals verrückt nach dir war, der du aber den Laufpass gegeben hast; einer Frau, die in der Zwischenzeit wichtig – sagen wir ruhig: sehr wichtig – für dich geworden ist und der du letzthin Dutzende von E-Mails geschickt und ihr versichert hast, dass du in all diesen langen Jahren
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