Die beste Lage: Roman (German Edition)
University, seiner attraktiven Forscherin Chatryn Wallitriny für ihre Untersuchungen über den »amoralischen Familismus« zugestanden hatte, zu Ende ging, war Riccardo auch bereit, zu den Seinen zurückzukehren.
›Typisches Beispiel für den italienischen Familismus‹, dachte Chatryn mit einem bitteren Lächeln, auch wenn sie es nicht übers Herz brachte, ihn als »amoralisch« zu bezeichnen. Schließlich hatte Riccardo ihr nie mehr versprochen, als er ihr gegeben hatte: eine angenehme Beziehung, nicht frei von Gefühlen, zu Beginn des Frühlings – der Jahreszeit, die sich am besten für Dinge dieser Art eignet.
Trotzdem kehrte Chatryn nicht nach New York zurück. Sie verspürte den Wunsch, Riccardo auch weiterhin zu sehen, ihm in die Augen zu blicken, seine Stimme zu hören, seinen Körper zu streicheln und so weiter und so fort. Da ihr rasch die Mittel ausgingen, begann sie wieder mit den genealogischen Forschungen, mit denen sie sich schon in Amerika beschäftigt und früher gelegentlich ihr Studium finanziert hatte. So gelang es ihr, den Aufenthalt um ein paar Monate zu verlängern, in deren Verlauf ihr Riccardo zwar wieder zur Hand ging, sich aber immer rarer machte. Und gerade als sie sich entschlossen hatte, ihre Eltern um Geld zu bitten, damit sie an der Seite eines Italieners in Italien bleiben könne – ausgerechnet ihre Eltern, die sie immer von oben herab behandelt hatte, gerade weil sie Italiener waren –, gestand ihr Riccardo, dass er keine Lust hatte, die Sache fortzusetzen.
Chatryn musste also einsehen, dass es wirklich aus war. Doch obwohl sie litt, dachte sie auch in der Folge nie mit Groll an Riccardo zurück, ja, sie behielt ihn immer in schöner Erinnerung. Sagen wir ruhig, dass sie ihm in den Augenblicken tiefster Einsamkeit immer noch nachtrauerte, vielleicht auch, weil er der Einzige war, der ihr seinerseits den Laufpass gegeben hatte. Wer kann das schon so genau wissen? Jedenfalls schaute sie sich, sobald sie wieder in Amerika war, wie alle Frauen, die ein gewisses Alter erreicht haben – die Unabhängigsten wie sie so um die dreißig –, nach einem Mann zum Heiraten um, auch wenn schon bald andere und dringendere Dinge sie so sehr in Beschlag nahmen, dass sie sich nicht weiter damit befassen konnte. Tatsächlich erhielt sie nämlich einige Monate nach ihrer Rückkehr aus Italien den berühmten Telefonanruf von Norman Gastell, mit dem ihre neue, glänzende Karriere begann.
Eine neue Karriere
Norman Gastell war ein eleganter Herr, ein fülliger Bonvivant, ein nicht praktizierender Homosexueller, Golfspieler, wunderbarer Gesprächspartner, fachkundiger Sammler afrikanischer Ngil-Kunst, namhafter Globetrotter – und eine der drei oder vier Personen auf der Welt, die darüber entscheiden, welche Weine man trinken muss.
Als einer der Ersten, die das immense Geschäft hinter der aufkommenden Passion der Reichen – und nicht nur der Reichen – für den Bacchustrank witterten, legte Gastell mit der Gründung der Zeitschrift Wine Spectacle das Fundament für ein Imperium, das alles umfasste, was mit besagtem großartigem Getränk zusammenhing – von der Vermarktung luxuriöser Degustationssets mit wunderschönen Ballongläsern aus Kristall, von Gastell persönlich entworfen, über Schnupperreisen zu verschiedenen Weingütern, Internetangeboten ausgewählter Weine und Sommelier-Fernkursen bis hin zur Veröffentlichung des überaus einflussreichen und auflagenstarken Führers The Top 100 Wines of the Year , der in allen Teilen der Welt tonangebend war. Um in diese Liste aufgenommen zu werden, waren die Weinproduzenten praktisch zu allem bereit.
Eben in jener Zeit, als Norman Gastell Chatryn Wallitriny angerufen und mit dem Artikel für den Wine Spectacle beauftragt hatte, suchte er für seine Zeitschrift eine Redakteurin, die der Prototyp der neuen, stilsicheren und kompetenten Weinkonsumentin sein sollte, und sobald er ihren Beitrag publiziert hatte, den er für nachgerade brillant hielt, lud er sie, um sie persönlich kennenzulernen, ins Circle ein, eines jener Restaurants in Manhattan mit kilometerlanger Warteliste, in dem Gastell jedoch jederzeit über einen Tisch verfügen konnte. Als er die junge, schöne, unverkrampfte Frau mit dem feinen Knochenbau auf sich zukommen sah – eine perfekte Erscheinung in ihrem Seidenkleidchen mit der einreihigen Perlenkette, dem Vintage-Täschchen und genau dem richtigen Hauch Organza um die Schultern und zum Glück so ganz anders, als er sich
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