Die beste Lage: Roman (German Edition)
weniger Leute traf. Trotzdem, irgendetwas stimmte nicht. Als sie die Bauern wiedersahen, deren Stimmen sie stundenlang auf Tonband aufgenommen hatten und die sich jetzt, genau wie der Pächter des Pfarrhauses, kaum an sie erinnerten und sie mit unerwarteter Frostigkeit behandelten, dämmerte ihnen der Grund: Die Zeit war einfach fortgeschritten, und der Versuch, sie zurückzudrehen, war nichts als eine Illusion.
Die Aglianico-Route
So beschlossen sie, sich auf den Spuren des Aglianico zum Monte Vulture zu begeben. Als sie dort anlangten, dachte Riccardo, dass er Chatryn vor Dell’Arcos Betrieb vielleicht noch ein paar andere Kellereien zeigen sollte, damit sie keinen Verdacht schöpfte.
›Wie kannst du nur so falsch sein?‹, fragte er sich und betrachtete diese Frau, die, während er fuhr, neben ihm saß und ihm mit verliebter Miene die Haare zauste. Er müsste ihr die Wahrheit sagen. Aber konnte er ihr eröffnen, dass er sie ohne Graziantonio und seinen Wein wahrscheinlich niemals wiedergesehen hätte? Andererseits war natürlich nicht zu leugnen, dass er auch vor der Begegnung mit Dell’Arco oft an sie gedacht hatte. Er hatte einfach nicht den Mut besessen, das zu tun, was sich dann als goldrichtig erwiesen hatte, zumal er Chatryn jetzt ja aufrichtig liebte. Aber war er sich dessen wirklich sicher? War Chatryn nicht doch nur die Frau, die ihm bei dem Versuch half, Eleonora zu vergessen? Und das nicht einmal mit großem Erfolg, wenn man bedachte, dass sich Eleonoras Bild – das von ihrem Körper und von der Art und Weise, wie sie ihn beim Sex erregte – zu einer regelrechten Obsession ausgewachsen hatte.
Basta , sagte er sich und verbannte diese Gedanken mit einem Schnauben aus seinem Kopf. Der Himmel war blau, die Luft liebkoste ihm das Gesicht, und neben ihm saß eine Frau, die ihn liebte – konnte er riskieren, das alles nur wegen irgendwelcher dummer Gewissensbisse kaputt zu machen? Außerdem war er jetzt, nachdem er so viele verschiedene Weine getrunken hatte, immer mehr davon überzeugt, dass Graziantonios Wein tatsächlich ausgezeichnet war, und wenn Chatryn ihn in ihre top list aufnähme – was wäre daran so schlimm? Ohne weiter zu zögern, fuhr er also in Richtung der Storta del Cervo, wie die Gegend hieß, nach der sich Graziantonio Dell’Arcos Landgut nannte.
Die Storta del Cervo
Graziantonio hatte seit Beginn ihrer Reise nichts mehr von ihm gehört, weil Riccardo aus Angst, Chatryn würde etwas bemerken, sein Handy ausgeschaltet hatte, denn der andere hatte angefangen, ihn in den unpassendsten Momenten anzurufen. Riccardo hatte jedoch seine Nachrichten abgehört, die immer nervöser klangen: »He, und wie geht’s?«, »Hast du sie jetzt gefickt, oder was?« »Also, was ist? Hast du sie überzeugt?« »Ruf mich endlich an, du Arschgeige!« Doch anstatt ihn zurückzurufen, hatte es ihm Spaß gemacht, Graziantonio zappeln zu lassen, sodass auf der Storta del Cervo nun niemand über ihr Kommen informiert war, und die Tatsache, dass man sie wie zwei normale Touristen behandelte – mit der natürlichen Grobheit der Lukanier also –, verlieh der Sache einen zusätzlichen Hauch von Spontaneität. Doch nachdem Chatryn den Carato getrunken und sich begeistert gezeigt hatte, konnte Riccardo der Versuchung nicht widerstehen, seinem Freund dies unverzüglich mitzuteilen, und während sie in der Kellerei blieb, um sich die Besonderheiten der Weinherstellung erklären zu lassen, absentierte er sich unter dem Vorwand, sich im Weinberg ein wenig die Beine zu vertreten.
»Wo bist du gelandet, du strunz ?«, brüllte der andere ins Telefon.
»Was heißt hier gelandet? … Wir starten doch erst, mein Freund«, antwortete Riccardo. »Ich bin in Barile, in deiner Weinkellerei, und zwar mit der Wally Triny! Sie hat soeben unseren Wein gekostet und gesagt …« Er machte eine Pause, um ihn noch etwas schmoren zu lassen.
»Ja, und? Was hat sie gesagt? Jetzt red schon, du Mistkerl!«
» Fabelhaft , hat sie gesagt! Rätselhaft und archaisch, schnörkellos und geheimnisvoll wie ein alter Zauber, so hat sie ihn charakterisiert. Merkst du, was für eine Poetin das ist?! Und dann hat sie noch ergänzt: Eine der unglaublichsten Sachen, die ich auf dieser Reise getrunken habe … Und ich versichere dir, dass wir so viel getrunken haben, dass ich mir beinahe eine Zirrhose zugezogen habe.«
»Super, super, Super-Riccardo!«, kreischte Dell’Arco wie ein Besessener immer wieder dazwischen.
Riccardo stellte sich
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