Die Beste Zum Schluss
meld mich später.«
Klick. Die Verbindung ist tot. Oh Mann, wenn ich nicht schon dran gewöhnt wäre, würde ich ausrasten.
Ich lege das Handy weg und schaue wieder in Vanessas Gesicht. Man könnte eine Jalousie anbringen, aber den Triumph gönne ich ihr nicht, außerdem ist ihr Anblick wichtig für meine Sensibilisierung gegenüber modernen Geschäftsfrauen. In jedem Job, den ich hatte, gab es einen Psychokollegen, doch früher war das immer ein Mann. Dass manche Frauen beschlossen haben, so wie die Männer zu werden, die sie früher scheiße fanden, ist eine Emanzipationsvariante, die ich nicht bedachte, als ich mich für die Frauenbewegung engagierte. Klar, wäre ich tausende Jahre lang in der Gesellschaft unterdrückt, von der Kirche verbrannt und in Zwangsehen versklavt worden, würde ich mit der ersten Freiheit im Rücken auch richtig steilgehen, aber dennoch: Meine Eltern haben mich so erzogen, dass ich Frauen achte und beschütze, und ich habe lange gebraucht, bis ich verstand, dass ich bei Vanessa nicht auf sie, sondern auf mich aufpassen muss.
Die Bürotür öffnet sich, und die gute Seele der Redaktion steckt ihr rundes Gesicht herein. Sarah. Statt Sex: Essen. Statt Beziehungen: Katzen. Statt Depressionen: Tabletten.
»Der Chef will dich sehen.« Sie mustert meinen Anzug. »Ist jemand gestorben?«
Ich will etwas Witziges antworten, überlege zu lange und bekomme einen Hustenanfall, weil ich die Luft anhalte. Sofort lässt sie ihren Blick durchs Büro gleiten.
»Hab ich dich bei irgendwas erwischt?«
Sie tritt einen Schritt vor und wirft einen Blick auf meinen Bildschirm, immer auf der Suche nach Schweinkram. Was sie sieht, ist mein Bildschirmschoner. Ein Foto von Vanessa, aufgenommen auf der letzten Weihnachtsfeier. Sie lacht und zeigt dabei ihre perfekten Zähne. Wahrscheinlich ging gerade der Chef vorbei. Ich habe die Gunst der Stunde genutzt und ihr Gesicht auf einen Jäger kopiert, der gerade ein Robbenbaby totschlägt.
Sarah kichert.
»Und, kommst du heute Abend?«
»Glaubst du, ich lasse mir das entgehen?«
»Bringst du denn endlich deine Wir-sind-nur-Freunde-Mitbewohnerin mit, damit man die mal kennenlernt?«
»Sie muss arbeiten.«
Sarah runzelt die Stirn.
»Jedes Jahr muss sie arbeiten. Was macht sie denn?«
»Arbeiten«, sage ich. »Außerdem brauchst du nicht immer so bescheuert zu betonen, dass wir nur Freunde sind, obwohl wir zusammenleben, ich meine, he, deine Freunde haben Fell und fressen Ratten … Ich hoffe, eure Beziehung ist auch nur platonisch.«
Sie winkt mit einem Zeigefinger ab.
»Sie ist eine Frau, du bist hetero. Ihr wohnt zusammen, habt beide keine Beziehung, du erziehst ihre Kinder, und das nennst du eine ganz normale Freundschaft?«
Ich starre sie an.
»Manchmal mache ich mir echt Sorgen, weißt du das? Das hier ist ein gottverdammtes Frauenmagazin ! Jeder, der hier arbeitet, sollte doch auf dem Laufenden sein, was da draußen los ist. Wir haben 2 , 3 Millionen bunt zusammengewürfelter Familien in Deutschland, okay? Menschen, die zusammen leben, weil das gut ist, und nicht weil es der traditionellen Vorgabe für Paarbeziehungen entspricht. Moderne Menschen! Und diese Leute kaufen übrigens auch Magazine! Ach, Scheiße, wieso reg ich mich auf? Google mal ›moderne Familie‹!«
Aus irgendeinem Grund findet sie das witzig und verlässt kichernd das Büro. Ich schaue zur Scheibe. Vanessa nickt vor sich hin. Es ist wie in Alien 4 , wo die Forscher das Ungeheuer hinter einer Panzerglasscheibe gefangen halten. Das Glas ist absolut bruchsicher, aber man weiß, irgendwann wird irgendwas schiefgehen, und dann bricht die Hölle los.
Erstaunlich viele Frauenmagazine haben männliche Chefredakteure, die ann a macht da keine Ausnahme. Unser Chefredakteur sitzt hinter seinem überdimensionalen Schreibtisch und starrt auf den Computerbildschirm. Gerd ist siebenundfünzig und hat alles für den Job geopfert; er ist geschieden, Alkoholiker und hat beim Thema Fettleibigkeit ein gewichtiges Wort mitzureden. Außerdem hat er kein Privathandy, da ihn niemand mehr privat anruft. Seitdem klar ist, dass er in Rente geht, umströmt ihn eine unglückliche Aura, wie eine Staubwolke, verstärkt durch seinen surrealen ls d -Opa-Modegeschmack. Er bevorzugt Sackhosen, Hemden mit Kragenknöpfen und farbige Fliegen. Die heutige ist grün. Sein Hemd ist gelb. Man wünscht sich, in der Stadt der Blinden zu sein.
Er zeigt wortlos auf den Besucherstuhl, ohne den Bildschirm aus den Augen zu
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