Die Beste Zum Schluss
nicht mehr weitersprechen. Etwas drängt durch meine Brust und schnürt mir die Kehle zu. Tränen schießen mir in die Augen.
Er legt seine Pranken auf meine Schultern und mustert mich eindringlich.
»Alles in Ordnung, Junge?«
Nein. Nichts ist in Ordnung. Eine schwarze Wasserwand kommt auf mich zugeschossen. Meine Beine zittern. Plötzlich ist überall Schmerz. Die Welle kommt näher, gleich wird sie über mir zusammenbrechen. Ich werde ersticken. Ich spüre Nässe in meinem Hemdkragen und schnappe nach Luft. Ein weiterer Körper drückt sich an uns. Ich sehe Renes forschenden Blick, bevor sie mich umarmt und die Welt ausschließt.
Auf dem Heimweg fährt Rene mit zusammengekniffenen Augen, obwohl die Sonne nicht scheint. Eigentlich braucht sie schon lange eine Brille, aber sie ist zu eitel. Wir haben die halbe Strecke zwischen Dortmund und Köln zurückgelegt, als es losgeht.
»Papa nahm es ganz gut, oder?«
Jaja, im Gegensatz zu mir.
»Keine Angst«, sagt sie. »Ich mag dich auch als heulenden Laschwappen.«
»Danke schön.«
»Nein, wirklich, das war total süß, wie du vor allen Leuten geflennt hast.«
»Wenn du die Augen zusammenkneifst, kriegst du Falten.«
Sie wirft automatisch einen Blick in den Innenspiegel. Dann zieht sie eine Packung Kopfschmerztabletten aus der Handtasche und drückt sich eine Tablette in den Mund.
»Schon wieder Kopfschmerzen?«
»Krieg meine Tage«, bringt sie ihre Standardausrede.
»Vielleicht könnte ein Besuch beim Optiker die Blutung stoppen.«
Sie wirft mir einen genervten Blick zu, dann zieht sie ihr Handy hervor und setzt sich ein Headset auf. Ich stöhne.
»Och, nö …«
»Nur schnell das Wichtigste«, verspricht sie.
Bei der Aussicht, ihr auf dem ganzen Rückweg zuzuhören, wie sie profilierungssüchtigen Künstlermanagern erklärt, wieso ihre Klienten nicht die besten Sitzplätze, Sendezeiten oder Schlagzeilen bekommen haben, möchte ich fast wieder zurück zum Friedhof.
»Moni? Hi, ich bin’s … Wie ist der Stand der Dinge?«
Ich starre aus dem Fenster und denke an die Welle. Mittlerweile kommt sie seltener. Aber sie ist noch da. Im Hintergrund. Allzeit bereit. Damokles hatte nur ein Schwert, ich habe eine ganze verfluchte Gewitterfront, und manchmal bringt sie noch die Welle mit, eine turmhohe dunkle Wasserwand, die jederzeit mein Leben durch einen Tsunami verwüsten kann. Aber sie tut es nie. Sie bleibt immer vor mir stehen wie eine Drohung. Oder eine Warnung. Die Psychologen erklären das mit dem beliebten posttraumatischen Stresssyndrom, aber bisher konnte mir keiner sagen, was die Welle will und wie ich sie wieder loswerde. Einundzwanzig Jahre lebe ich mit ihr, und immer noch passieren Dinge wie vorhin.
Ich trete einen mentalen Schritt zurück, gehe aus der Situation heraus und bin nur noch Beobachter. Da, ein Mann. Da, eine Welle. Ich atme ruhig und gehe in die Angst. Ich blende alles aus, bis ich schließlich mit der Welle alleine bin. Ich schließe die Augen und tauche ein. Sie ist herrlich erfrischend. Ich habe keine Angst zu ertrinken. Die Welle ist mein Freund.
Nach ein paar Sekunden öffne ich die Augen wieder. Es funktioniert nicht. Die Welle ist nicht mein verdammter Freund. Sie will mich für etwas bestrafen, für das ich bereits bestraft worden bin. Aber warum? Die Psychologen meinen, ich habe meine Vergangenheit noch nicht verarbeitet, aber wer kann das schon von sich behaupten?
Ich lehne meinen Kopf gegen das kühle Seitenfenster. Draußen rast die Autobahn vorbei.
Eine Stunde später parken wir vor dem Gebäude im Rheinauhafen, in dem Rene ihr Büro angemietet hat. Auf der ganzen Strecke musste ich mir ihr Businessgequatsche anhören. Wenn das die wichtigen Gespräche waren, muss es um das Showbusiness schlimmer stehen, als ich gedacht habe. Sie stellt den Motor ab und schaut zu ihrem Bürofenster hoch. Fast lächelt sie. Gleich wird sie wieder die Kommandobrücke betreten, und ich weiß, es gibt wenig, was sie glücklicher machen könnte. Ein Workaholic par excellence.
Sie zieht die Beine an und dreht sich im Sitz, bis sie mir frontal gegenübersitzt.
»Gehst du eigentlich noch zu der Therapeutin?«
Na prima. Parklückentherapie. Ich werfe einen schnellen Blick auf meine Armbanduhr.
»Oh, mein Gott. Schon Viertel vor eins. Ich muss jetzt echt los.«
»Lass das. Wenn Papa dich nicht festgehalten hätte, wärst du noch glatt in Ediths Grab gekippt.«
Ich kneife die Augen zusammen und nicke ihr konspirativ zu.
»Gute
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