Die Beste Zum Schluss
Putzspruch über das Turiner Grabtuch auf den Lippen, doch der Wirt bringt uns die Getränke, und ich schweige vorsichtshalber. Er trägt eine fleckige Lederweste über einem schmuddeligen Baumwollhemd, das mal unifarben war, und ein silbernes Kreuz um den Hals. Er knallt zwei Gedeck und ein Kölsch auf den Tisch, nimmt Renes Taxierinnerung zur Kenntnis und geht zurück zur Theke. Ich frage mich, a) was in den Köpfen solcher Leute vorgeht und b) wie man die Gläser vom Tisch abbekommt.
Unsere Nonne schaut dem Wirt nach.
»Man sollte ein System entwickeln, das unfreundlichen Menschen Punkte verpasst wie in Flensburg.«
»Superidee«, sagt Rene. »Wenn die dann zu viele Punkte haben, müssen sie zum Knigge-Test.«
»He! Genial!«, sage ich. »Daraus machen wir eine t v -Sendung. Ich habe auch schon einen Titel: ›Das war Ihr Trinkgeld !‹«
Darauf stoßen wir an und feilen in den nächsten Minuten am Konzept. Die Nonne ist lustig, auch wenn ihr Gesicht nie mitmacht. Sie lächelt wenig und verbreitet staubtrockenen Sahara-Humor. Als die Gläser leer sind, ist vom Taxi immer noch nichts zu sehen. Dafür ist einer der Glotzer mit dem Kopf auf der Theke eingeschlafen. Ihm läuft irgendwas aus dem Mund. Ich hoffe, der Wirt merkt nichts. Wäre die perfekte Recycling-Zapfanlage.
Die Nonne schaut mich an.
»Ist es in Ordnung, wenn ich dich noch mal was frage?«
»Wer nicht fragt, bleibt dumm«, sagt Rene. »Vor allem bei Männern«, fügt sie hinzu.
Ich verdrehe die Augen. Sie lächelt. Die Nonne heftet ihren Blick auf mich, was meinen Magen abstürzen lässt, weil ich zu spät wegschaue.
»Also, du meinst, dass Verliebtheit daran schuld ist, dass viele Menschen den falschen Partner haben?«
»Sicher. Das Problem ist ja …«, beginne ich und werde von Rene unterbrochen.
»Dass er vor hundert Jahren mal mit einer Spinnerin zusammen war und seitdem denkt, alle spinnen.«
»… dass Verliebtheit ein künstlich herbeigeführter Rauschzustand ist, der uns eine Zeit lang Glück vortäuscht«, fahre ich fort. »Eine Zeit lang glaubt man, man wird wirklich so geliebt, wie man ist, und ist glücklich. Also vernachlässigt man seine Karriere, seine Freunde und den Sport, und wenn man nach einem Jahr wieder von der Natur ent-liebt wird, ist man arbeitslos, fett und sozial isoliert und hat ein Jahr seines Lebens mit einem Menschen verbracht, den man vielleicht noch nicht einmal respektiert – aber hey, dafür war man ja verliebt ! Supersache das.«
Rene stöhnt.
»Ich kann den Mist nicht mehr hören …«, jammert sie.
Ich lächele sie herausfordernd an.
»Wie oft warst du denn schon verliebt, und wie oft haben sich daraus tolle Beziehungen entwickelt?«
Rene hält sich die Ohren zu und beginnt zu summen.
»Meine Eltern verliebten sich und hatten eine lange, gute Ehe«, gibt die Nonne zu bedenken.
Ich winke ab.
»Es gab auch Widerstand gegen die Nazis, und trotzdem war der Krieg scheiße, oder?«
Sie lacht. Rene hört auf zu summen und nimmt die Hände runter.
»Er klingt bloß bei dem Thema völlig meschugge, eigentlich ist er ganz normal«, sagt sie zur Nonne. »Er hat nur total Schiss vor Enttäuschungen.«
»Verständlich«, sagt die Nonne.
»Blödsinn«, sage ich zu Rene. »Ich versuche nur, nicht immer denselben Fehler zu wiederholen. Wo bleibt eigentlich das verdammte Taxi? Das müsste doch längst da sein. Der Wirt hat bestimmt vergessen anzurufen. Wenn wir nicht hier frühstücken wollen, sollten wir langsam los.«
Rene fischt ihr Handy hervor, ruft die Taxizentrale und bestellt uns einen Wagen. Ich ordere derweil eine Abschiedsrunde beim Wirt, diesmal ohne Kölsch. Jürgen Drews will ein Bett im Kornfeld . Einer der Besoffenen an der Theke schreit »Korn im Feldbett« und lacht dann polternd, bis sein Husten ihn erstickt.
Der Wirt bringt die Abschiedsrunde. Wir fordern die Rechnung und diskutieren verschiedene Kriterien, nach denen man seinen Partner auf keinen Fall auswählen sollte. Aussehen steht ganz oben auf der Liste, aber wir sind uns einig, dass Aussehen wichtig ist. Dann folgt Geld. Danach sollte man sich auch nicht richten – aber schön, wenn es da ist. Idealisieren darf man, aber nicht zu sehr anhimmeln. Kinderwunsch – nicht entscheidend, aber wichtig. Irgendwann ist auch die letzte Runde alle. Immer noch kein Taxi. Immer noch keine Rechnung. Eine verdreckte Wanduhr zeigt Viertel nach vier. Zu Fuß wären wir schon fast zu Hause. Was zum Henker machen wir hier? In fünf Stunden
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