Die Beste Zum Schluss
führe ich ein Interview. Oder so.
Wir bestellen eine allerletzte Runde. Der Wirt scheint das Konzept langsam zu verinnerlichen, denn er bringt die Getränke zeitnah. Vielleicht wird er ja bei jeder Order schneller. Nur noch dreißig Runden, dann kann er als Kellner arbeiten. Als er die Getränke vor uns hinstellt, nuschelt er etwas, das wie »Wohlsein« klingt. Schockschwerenot.
Er geht, wir trinken. Unser Gespräch erlahmt. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Udo Jürgens verrät uns zum tausendsten Mal, dass er noch niemals in New York war. Kann doch nicht sein, dass ausgerechnet er nie in zerrissenen Jeans durch San Francisco ging. Man sollte für ein Ticket sammeln. Oder auch nicht. Er hat ja genug Geld. Selber schuld, wenn er nie rübergeflogen ist. Gott, bin ich blau. Korn ist böse. Wird ein prima Interview mit der Geilsten. Ein Himmelfahrtskommando. Falls ich überhaupt hinkomme. Vielleicht bleiben wir ja auch für immer hier kleben. Vielleicht waren die Thekenzombies auch einmal nichts anderes als unschuldige Passanten, die sich hier kurz unterstellen wollten und bis heute auf ein Taxi warten. Ich begutachte das Kreuz, das unsere Nonne um den Hals trägt. Wie war das noch mal? Muss ein Kreuz geweiht sein, um Vampire abzuhalten? Und wie kann der Wirt eins um den Hals tragen, ohne Verbrennungen zu erleiden? Mann, so blau, und immer noch kein Taxi. Dafür Schnaps. Der Wirt füllt die Gläser mittlerweile am Tisch auf. Gott, noch zehn Minuten, dann saufen wir aus der Flasche. Manchmal gibt es solche Nächte. Da zählt nur das Versacken. Und das Zusammensein. Zusammen versacken.
Die Kneipentür öffnet sich. Ein Schwarzafrikaner steckt den Kopf herein.
»Hatten die Herrschaften ein Taxi bestellt?«
Rene marschiert wortlos hinaus. Die Nonne folgt ihr. Prima. Ich zahle die Getränke, wünsche dem Wirt ein tolles Leben und atme erleichtert auf, als ich draußen im fahlen Morgenlicht stehe. Wir rutschen zu dritt auf den Rücksitz. Der gut gelaunte Fahrer hat nichts dagegen. Mir ist danach, mich dafür zu bedanken, dass er fließend Deutsch spricht, aber damit würde ich mir nur einen Spruch einhandeln, weil er wahrscheinlich in Köln-Ehrenfeld geboren ist. Also schweige ich. Fettnäpfchen umkurvt. Ich sollte öfters saufen.
Rene nennt unsere Adresse und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. Wir fahren los. Auf der einen Seite wird Renes Körper schlapp, auf der anderen spüre ich den Nonnenkörper. Sie sitzt zurückgelehnt, hat den Nacken auf die Rückbankkante gelegt und starrt durch das Fenster in den Himmel.
»Wo sollen wir dich rauslassen?«
Sie wendet mir ihr weißes Gesicht zu.
»Ich möchte nicht nach Hause.«
Das könnte man jetzt so oder so verstehen, aber sie erklärt sich nicht, und ich mag das. Sie will einfach nicht nach Hause. Punkt. Ich weiß noch, wie ich vor fünf Jahren die halb leere Wohnung vorfand. In den folgenden Wochen ging ich auch nicht gern nach Hause. Wer weiß, vielleicht würde ich heute noch herumvagabundieren, wenn ich nicht Rene auf dem Schiff getroffen hätte.
»Du kannst bei uns schlafen. Du kriegst mein Schlafzimmer, und ich schlafe bei Rene. Sie wollte heute ja unbedingt jemanden ins Bett kriegen.«
Rene verpasst mir einen Stoß in die Rippen und ist dann wieder voll damit beschäftigt, so zu tun, als würde sie uns nicht belauschen.
»Danke«, sagt die Nonne.
»Gern.«
Ich lege den Kopf in den Nacken und starre durch das Rückfenster in den Himmel. Auf beiden Seiten spüre ich warme Körper.
»Glaubst du wirklich, wir wären glücklicher, wenn wir unseren Partner nach rationalen Gesichtspunkten aussuchen würden?«, murmelt jemand.
Ich drehe meinen Kopf. Die Nonne schaut ebenfalls durch das Rückfenster in den Himmel. Jetzt, wo ich sie endlich mal angucken kann, ohne dass mein Magen ausflippt, sehe ich, dass Rene recht hatte: Sie hat wirklich einen tollen Mund, groß, mit vollen ausdrucksstarken Lippen und kleinen Kerben am Mundwinkel.
»Na ja, man könnte es zumindest mal ausprobieren, oder? Ich meine, was hätten wir zu verlieren?«
Sie wendet mir ihr Gesicht zu.
»Und das kann man wirklich beschließen?«
»Klar«, sage ich und schiele auf ihre Nase. »Schau uns an. Den ganzen Abend fährt mein Magen Achterbahn. Jedes Mal, wenn ich dir in die Augen schaue, bekomme ich kleine Stromschläge. Aber mein Körper kann rotieren, wie er will: Ich werde nicht mit dir schlafen.«
Neben mir stöhnt Rene leise.
»Da haben wir ja noch mal Glück gehabt«, sagt die
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