Die Beste Zum Schluss
mich in diesem Zustand sieht, muss er wahrscheinlich zum Kinderpsychologen.
Während ich Kaffee mache, versuche ich mich zu erinnern, wann ich den Körper meines Vaters zum ersten Mal neugierig betrachtete und mit meinem verglich. Ich erinnere mich nicht mehr, wie alt ich war, aber ich weiß noch, wie er mich zur Seite nahm und mir verriet, dass mein Körper eines Tages genauso aussehen würde, und falls ich Fragen hätte, egal zu welchem Thema, sollte ich ihn fragen. Ein Angebot, das ich viel zu selten in Anspruch nahm. So lange sind meine Eltern schon fort, und noch heute fallen mir täglich neue Fragen ein, die ich ihnen gerne gestellt hätte. Wie sie es schafften, mich so zu erziehen, dass ich überwiegend mit mir zufrieden bin. Wie sie es schafften, meistens glücklich zu wirken. Und was ich mit einer Frau machen soll, die genauso in mich verliebt ist wie ich in sie, die aber dennoch in wenigen Stunden das Land verlassen wird. Egal was ich tue: Ich weiß jetzt schon, dass es falsch ist. Lasse ich sie gehen, fühle ich mich blöd. Halte ich sie auf, fühle ich mich blöd. Ich möchte niemanden von seinem Traum abhalten. Im Gegenteil. Und nun? In solchen Situationen und für solche Fragen braucht man Menschen, die mehr erlebt haben als man selber. Menschen, die erfahren und weiser sind. Ältere Menschen. Gott, sie fehlen mir …
Als ich den Kaffee in die Thermoskanne gieße, rieche ich einen Hauch Old Spice . Das Aftershave meines Vaters. Meine Kehle zieht sich zu. Eine Wellenwand kommt auf mich zugerast. Ich kann gerade noch die Kanne auf die Herdplatte stellen, dann ist sie da. Groß und schwarz türmt sie sich auf, Wolken hüllen mich ein, ich kriege keine Luft, klammere mich an die Küchenzeile und schnappe nach Atem.
Ein warmer, weicher Körper lehnt sich gegen meinen Rücken. Etwas legt sich um meinen Leib und schützt ihn. Die Welle löst sich auf … verdunstet ins Nichts … Ich blinzele. Vor mir ist die Küchenwand mit dem Kräuterregal. Die Espressomaschine brodelt auf dem Herd. Ich schaue an mir hinunter. Über meinem Bauch sind zwei Frauenhände ineinander verschränkt. Sie streicheln mich. Ich atme durch und versuche zu verstehen, was passiert ist.
»Alles in Ordnung?«, flüstert sie.
»Ja«, lüge ich und ziehe die Espressokanne auf eine andere Herdplatte.
»Gut«, sagt die Frau, die Wellen brechen kann.
Ich drehe mich um und küsse sie. Ihre Lippen sind weich und nachgiebig. Ich verharre an ihren Lippen und atme diesen Augenblick ein. Es ist nicht zu fassen. Ein Dutzend Therapeuten und Psychologen, Freiversuche mit Alkohol, Kokain und Medikamenten. Und nun das. Alles, was ich anscheinend an Hilfe brauche, ist Nähe. Ihre. Und in vier Stunden wandert sie aus.
»Alles in Ordnung?«, flüstert sie an meinen Lippen.
Ich öffne meine Augen. Ihre sind groß und dunkel. Ich versuche ein Lächeln.
»Ich mag dich, Eva.«
Sie nickt langsam, als würde sie sagen, das ist ja das Schlimme.
Zehn Minuten später fahren wir durch eine schlafende Stadt. Schon wieder. Mit manchen Menschen macht man das nie. Nacht ist etwas Besonderes. Sie kann dich zum einsamsten Menschen der Welt machen. Oder dich mit jemandem auf eine Art zusammenschweißen, wie der Tag es nicht kann. Chemie der Dunkelheit.
Ich lenke den Wagen durch die leeren Straßen und versuche immer noch zu verstehen, was vorhin in der Küche passiert ist. Ihre Hand liegt auf meinem Schenkel. Eine Geste, die ich noch nie außerhalb einer Beziehung erlebt habe. Intim. Besitzergreifend. Vertraut. Gott, ich kenne sie erst seit vorgestern.
»Hat es dir die Sprache verschlagen?«
Ihr Profil ist ernst, doch als sie den Kopf dreht, lächelt sie. Ihre Hand drückt meinen Schenkel.
»Ich will es nicht zerstören«, flüstert sie.
Dann bleib hier, liegt mir auf der Zunge, aber ich spreche es nicht aus. Anscheinend lerne ich dazu. Die Frage ist bloß, ob es der richtige Augenblick ist, um zu lernen. Vielleicht sollte ich mal freiwillig ins Fettnäpfchen treten und sie bitten zu bleiben.
Als spürte sie, was ich denke, schüttelt sie den Kopf. Ich frage sie, warum sie den Kopf schüttelt. Sie sagt, wegen dem, was ich denke. Ich frage, woher sie wissen will, was ich denke. Sie sagt, sie kann mich lesen. Ich frage, was ich gerade gedacht habe. Sie sagt, ich wollte sie fragen, ob sie nicht bleiben kann. Ich erkläre ihr, dass sie falschliegt. Ich höre mich irgendwas von Superangebot One-Night-Stand mit Kaffee to go inklusive Transfer zum Flughafen
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