Die Beste Zum Schluss
ich mein Hemd in die Wäschetonne werfe, bleibt mein Blick an ein paar Kaffeeflecken hängen. Als die entstanden, war Eva noch da. Vorhin. Damals.
Mit dreiundzwanzig habe ich mal ein Glas in einer Bar geklaut und es jahrelang aufgehoben, weil es das letzte war, das Sarahs Lippen berührt hatten, bevor sie Schluss machte. Es gefiel mir, manchmal daraus zu trinken und an sie zu denken. Die schönste Affäre in meinem Leben. Bislang. Außerdem habe ich jahrelang einen b h von Vivette aufgehoben. Der beste Sex meines Lebens, verewigt durch ein intimes Kleidungsstück. Und jetzt, Kaffeeflecken von Eva, der Frau, die Tsunamis durch eine Umarmung vertreiben konnte. Man sollte eine Letzte-Dinge-Ausstellung organisieren, in der Menschen die Sachen ausstellen, die ihnen geblieben sind. Die letzte Serviette, mit der sie sich den Mund abwischte … der letzte Kissenbezug, auf dem er schlief … textile Brücken zu Erinnerungsinseln.
»Was machst du?«
Lola sitzt im Bett und mustert mich aufmerksam. Ich werfe das Hemd in die Wäschetonne.
»Ich hab mein Hemd bekleckert«, erkläre ich ihr und ziehe ein frisches aus dem Schrank. Wie erkläre ich ihr das mit Eva? Eine Freundin? Entfernte Verwandte? Schmusige Einbrecherin? Soziales Projekt?
»Willst du Eva heiraten?«
Kinder. Immer eiern sie um das Thema herum.
»Nein, das will ich nicht. Außerdem könnte ich gar nicht, denn sie ist verreist.«
»Wohin?«
»Nach Kanada.«
Sie kneift die Augen leicht zusammen, während sie nachdenkt.
»Da ist es kalt.«
»Sie macht dort einen Surfkurs. So kalt kann es also nicht sein.«
»Wie lange bleibt sie denn da?«
»Für immer.«
Sie mustert mich mit ihrem Mona-Lola-Blick. Ich hänge den Anzug wieder auf den Bügel, gehe zum Bett und lasse mich neben ihr auf die Matratze fallen. Sie kuschelt sich an mich.
»Mochtest du Eva?«, frage ich.
Sie nickt, und ihre Haare kitzeln meinen Hals.
»Ist es in Ordnung, dass sie hier geschlafen hat?«
Sie nickt wieder. Ob sie das auch getan hätte, wenn sie nicht wüsste, dass Eva weg ist? Tja, ein guter Journalist hätte die Fragen geschickter formuliert, aber mir reicht es. Eva war da, sie ist weg, und Lola hat zum ersten Mal eine Frau in meinem Bett gesehen und wirkt weder verstört noch wütend, noch traurig. Dennoch gehe ich auf Nummer sicher: einmal gemeinsam lachen.
»Weißt du«, sage ich und knutsche ihren Scheitel, »wir haben echt Glück. Viele Kinder haben einen Vater und eine Mutter, aber du hast einen Vater und eine Mutter und noch einen Bonusvater. Du bist eine Glückspilzin.«
»Glückspilzinnen gibt’s nicht«, kichert sie.
»Oh doch, das sind die besonders hübschen und klugen Pilze, die mehrere Pilzväter haben, die sie total pilzmäßig lieben.«
Sie kichert. Ich kitzele sie ein bisschen. Nicht genug, um sie zu ärgern, aber genug, damit sie diese verspielten Genervt-Töne macht, die ich liebe. Seit Monaten nehme ich mir vor, dass das mein nächster Klingelton wird, doch heute zieht es fast wirkungslos an mir vorbei. Ich kitzele sie noch mal, bis sie wieder kichert. Dann knutsche ich sie ein bisschen und blase Luft gegen ihre Wange, bis es knattert wie ein lauter Furz. Etwas, das bei hyperintelligenten Kindern nicht weniger Wirkung hat als bei allen anderen. Als sie sich kichernd zwischen den Bettdecken versteckt, kitzle ich sie gleichzeitig an Füßen, Armen, Beinen, bis sie sich hysterisch kreischend aus dem Bett fallen lässt und darunter flüchtet. Ich rolle mich auf den Rücken und starre an die Decke. Draußen in der Küche klappert Oscar herum. Unter dem Bett kichert Lola. Sie ist weg. Es ist vorbei. Das war’s.
Ich lasse eine Hand neben das Bett hängen. Lola schnappt sie sich und beginnt an meinen Fingern zu ziehen, bis meine Gelenke knacken. Aber der Knackpunkt ist, dass es nicht das erste Mal in meinem Leben ist, dass ich Endgültigkeit akzeptieren muss. Und ich war noch nie gut darin. Eine Therapeutin erklärte mir, dass neunzig Prozent aller Probleme darauf beruhen, dass man die Vergangenheit nicht bewältigen kann. Wenn man mit etwas abschließen will, muss man sich dem Problem stellen. Aber wie löst man ein Problem, das tot oder weg ist? Fast alle Therapeuten empfahlen mir, den Unfallverursacher aufzusuchen und ihm zu sagen, wie es mir geht. Aber nicht er ist mein Problem. Mein Problem ist, dass meine Eltern mir fehlen. Und jetzt fehlt mir noch jemand. Vielleicht sollte ich sie aufsuchen und ihr sagen, wie es mir geht. Stopp! In solchen
Weitere Kostenlose Bücher