Die Besteigung Des Rum Doodle
Totter zu dem Thema entsinne, die ihm vielleicht in Zukunft von Nutzen sein könnten. Daraufhin zitierte ich Totters berühmtes Diktum: Den Montblanc zu besteigen ist eine Sache, den Rum Doodle zu besteigen eine völlig andere. Shute dankte mir und sagte, das sei eine der vernünftigsten Sachen, die er je gehört hatte, und werde ihm eine Quelle der Inspiration sein. Künftig werde er sich stets völlig im Klaren darüber sein, dass er sich nicht auf dem Montblanc befinde, und sich dementsprechend verhalten. Wäre er auf dem Montblanc, so sagte er, dann wäre er hocherfreut, nur Jungle zum Partner zu haben; da er aber nicht auf dem Montblanc sei, sondern auf dem Rum Doodle, bestehe er darauf, einen dritten Mann mit am Seil zu haben – vorzugsweise einen Träger.
Das schien vernünftig. Der gestrige Tag hatte gelehrt, dass eine Zweier-Seilschaft schlecht mit einer Notlage fertig wurde. Gab man jedem Paar einen Träger mit, würde das den Sicherheitsfaktor beträchtlich erhöhen. Da aber die Biwakzelte für zwei Mann ausgelegt waren, müsste jede Seilschaft aus vier Mann bestehen, zwei Europäern und zwei Trägern.Diese Lösung hatte den zusätzlichen Vorteil, dass die Träger die komplette Ausrüstung für alle vier tragen konnten, so dass jede Seilschaft eine unabhängige Einheit bilden würde, die sich notfalls mehrere Tage lange selbst versorgen konnte.
Burley verwies darauf, dass dies alle unsere Planungen über den Haufen werfe, da es aber bedeute, dass er Wish nicht länger für sich allein haben werde, sei er aus ganzem Herzen dafür. Die anderen waren ebenso begeistert, und wir beschlossen, die Idee in die Tat umzusetzen. Unsere Einmütigkeit erfreute mich sehr, schien sie mir doch die gute Moral der Expedition widerzuspiegeln.
7
Die Nordwand bezwungen
A m nächsten Tag brachen wir erneut auf. Burley war zu schwach, um seinen Schlafsack zu verlassen. So schickte ich Shute und Constant mit zwei Trägern los, denen Wish und Jungle mit den ihren folgten. Bevor ich selbst aufbrach, sandte ich einen laufenden Boten mit einer Nachricht ab: »Für zweiten Angriff auf Nordwand neu organisiert. Alle gesund und munter. Moral kann nicht hoch genug gelobt werden, und die Träger sind ausgezeichnet.«
Die an diesem Tag geleistete Arbeit war wirklich phänomenal. Bei Ankunft am Fuß des Eishangs entschloss sich Shute klugerweise, seine Träger in der Kunst des Bergsteigens im Eis zu unterweisen. Zunächst zeigte er ihnen, wie man Stufen hackt, dann ließ er sie es selbst versuchen. Sie lernten es schnell – so schnell, dass Shute und Constant kaum mit ihnen Schritt zu halten vermochten. Sie stiegen den steilen Abhang so rasch hinauf, wie es in der dünnen Höhenluft nur möglich war. Beide sagten, sie hätten dergleichen nie zuvor gesehen. Die Träger zeigten keinerlei Ermüdungserscheinungen, weiter und weiter stiegen sie trotz ihrer vollen Traglast und der Arbeit, Stufen in das harte Eis zu schlagen.
Als Wish und Jungle bei der Eiswand ankamen, war die erste Seilschaft schon fast außer Sichtweite. Es wäre natürlich Unsinn gewesen, eine derart komfortable Treppe zu ignorieren, und so gaben sie die Idee auf, nochmals die Felswand anzugehen.
Ich gelangte einige Stunden später dort an. Zu diesem Zeitpunkt war von beiden Seilschaften nichts mehr zu sehen. Ich rief Wish über das Funkgerät. Er berichtete mir, was geschehen war. Alle Europäer seien aufgrund des von den Trägern eingeschlagenen Tempos am Rande der Erschöpfung. Sie würden den Col Süd mit Sicherheit erreichen. Er riet mir, zum Basislager zurückzukehren und am nächsten Tag mit der gesamten Ausrüstung, die im vorgeschobenen Lager benötigt wurde, zu folgen. Vor allem sollte ich die medizinische Ausrüstung nicht vergessen, die dort oben vermutlich nützlicher sein werde als im Lager unten.
Also kehrte ich zum Basislager zurück und freute mich über die Gelegenheit, auszuruhen und ein paar Stunden im freundschaftlichen Gespräch mit Burley zu verbringen. Seit unserer ersten Begegnung war meine Zuneigung zu diesem freimütigen Hünen beständig gewachsen. Ein Expeditionsleiter sollte niemanden bevorzugen, aber ich muss zugeben, dass ich unter all meinen Gefährten stets Burley gewählt hätte, um mit ihm das Zelt zu teilen.
Ich fand ihn im Schlafsack und machte den Vorschlag, die Nacht bei ihm zu verbringen. Das sei zu gütig, sagte er, er denke aber, dass Prone mich mehr brauche als er. Prone, so sagte er, werde ganz allein im Basislager
Weitere Kostenlose Bücher