Die Besteigung Des Rum Doodle
zurückbleiben, und auf seiner einsamen Wacht werde er glücklicher sein, wenn ihm die Erinnerung an eine Nacht der Kameradschaft bleibe. Das war sehr selbstlos von ihm, und obgleich ich ein wenig enttäuscht war, musste ich doch einsehen, dass die Pflicht mich zu dem Einsamen rief.
Ich fand ihn in seinem Schlafsack. Auch er war dankbar, aber selbstlos und sagte, nicht im Traum wolle er Burley meiner Gesellschaft berauben. Ich sagte ihm, ein solches Opfer könne ich keineswegs annehmen, und bald hatten wir uns für die Nacht eingerichtet.
Der arme Prone schien recht deprimiert, und um ihn aufzuheitern, ermunterte ich ihn, von seiner Familie zu erzählen. Ob er eine Braut habe, fragte ich. Nein, erwiderte er, seine Frau sei wenig verständnisvoll, und seine Kinder fänden, eine Mutter sei völlig ausreichend.
Ich entschuldigte mich für meinen Schnitzer und fügte hinzu, die Auskunft überrasche mich. Sir Hugeley hatte mir gesagt, er sei Junggeselle. Prone erwiderte, es stehe Sir Hugeley selbstverständlich frei, zu diesem wie zu jedem anderen Thema seine eigene Meinung zu haben, doch er, Prone, habe einen anderen Eindruck. Ich sagte, ich nähme an, dass ihm das Familienleben zusage. Er sagte, ganz im Gegenteil, er finde es unerträglich.
Ich drängte ihn, mir mehr zu erzählen, denn geteiltes Leid sei halbes Leid. Zunächst sträubte sich der arme Junge, doch es gelang mir, seine Schüchternheit zu überwinden, und so erzählte er mir seine traurige Geschichte.
Er kam aus einer armen Familie. Sein Vater war ein arbeitsloser Ölbestreicher vom alten Schlag gewesen, voller Stolz auf sein Handwerk und mit einem eingewurzelten Horror vor Almosen. Er war aber über seinen Schatten gesprungen, um seinen Sohn auf die medizinische Akademie schicken zu können. Prone erzählte, täglich mit ansehen zu müssen, wie sein Vater über seinen Schatten sprang, habe ihm in seinen Jugendjahren den stärksten Eindruck gemacht. Er war aber nicht nur über seinen Schatten gesprungen, sondern seinem Sohn zuliebe war er bis zum Äußersten gegangen: Von sechs verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen hatte er unter acht verschiedenen Namen Zuwendungen bezogen, Droh- und Erpresserbriefe geschrieben, Taschendiebstahl getrieben, Postautos und Damenhandtaschen ausgeraubt, war in Häuser eingebrochen, hatte Kindern Bonbons weggenommen und anschließend reuevolle Berichte für christlicheErweckungsmagazine geschrieben. Dieser selbstlose und aufopferungsvolle Eifer hatte den jungen Prone dazu bewogen, sich ganz der Erfüllung des väterlichen Wunschs zu widmen, und so hatte er beschlossen, dass ihn kein Hindernis davon abhalten werde, das ferne Ziel einer Niederlassung als praktischer Arzt zu erreichen.
Nach vielen Jahren eifrigen Studiums erreichte er, was er sich vorgenommen hatte. Um das Geld für den Kauf einer Praxis auf den Tisch legen zu können, brachte sein Vater ein letztes Opfer: Er ließ sich zum Schatzmeister einer Wohltätigkeitsorganisation wählen, ein Ehrenamt, das ihm unbegrenzte Möglichkeiten zur Unterschlagung eröffnete. So war Prone praktischer Arzt geworden.
Seine allererste Patientin war eine Witwe, die aufgrund ihrer gelegentlichen Lektüre der Comic-Hefte ihres Sohnes an akutem Horror und Boshaftigkeit litt. Den jungen Arzt hasste sie von ihrer ersten Begegnung an und setzte es sich in ihren grausamen Kopf, ihn zu heiraten. Falls er sie nicht zur Frau nehme, so sagte sie ihm, werde sie ihn öffentlich bezichtigen, ihren Versicherungsausweis verlegt zu haben. Um nicht Schande und die Zerstörung der väterlichen Träume zu riskieren, hatte Prone zugestimmt. An Halloween waren sie in Gravesend getraut worden.
Sein Eheleben war ein Martyrium. Seine Frau war eine Furie in Menschengestalt. Nach außen wirkte sie wie eine liebenswürdige Dame, ihm gegenüber jedoch betrug sie sich wie ein Teufel. Die Dinge, die sie tue, seien zu grauenerregend, um sie zu erwähnen. Die Kinder, acht an der Zahl und ein weiteres unterwegs, waren der passende Nachwuchs für ein solches Scheusal – eines grauenhafter als das vorhergehende, und das kommende, so stellte er sich mittels Extrapolation vor, werde wahrhaft grässlich sein. Niemand, so Prone, könne sich vorstellen, was er durchgemachthabe. Seine Samstagnachmittage waren Albträume gewesen.
Sein erschütternder Bericht berührte mich tief. Ich sagte Prone, er habe mein volles Mitgefühl, und bot ihm jegliche Hilfe an, die ihm von Nutzen sein mochte. Er sagte, das sei sehr
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