Die Besteigung Des Rum Doodle
zu schaffen. Es war mir nicht möglich zu klären, wie er zur vorgeschobenen Basis gelangt war; ich jedenfalls hatte nicht beabsichtigt, ihn mitzubringen. In einem Anfall wenig galanten Argwohns fragte ich mich einen Moment lang, ob Prone ihn wohl an den Schluss unserer Kolonne geschoben haben mochte. Das wäre ein äußerst unbritisches Verhalten gewesen, aber die Versuchung dazu war groß, und einem Kranken hätte man ohne Umstände verziehen, wenn er ihr erlegen wäre. Aus Fairness gegenüber Prone muss ich jedoch vermerken, dass er eine solche Tat entschieden von sich weist. Seine Vermutung ist, dass sich Pong aus eigener Initiativeuns anschloss, weil es ihn zur Raserei getrieben hätte, so viele Opfer auf einmal ziehen zu sehen.
Wie dem auch sei, als nun der Ruf »Essen fassen!« erscholl und die anderen aus ihren Zelten krochen, wurden wiederum sie rasend, als sie den vertrauten Brei erblickten, und ich muss leider berichten, dass harte Worte fielen. Mein Beteuern, ich sei unschuldig, wurde mit dem Vorwurf der Inkompetenz erwidert, und so war das Abendessen nicht nur, wie üblich, die schlimmste Mahlzeit des Tages, sondern auch noch mit Bitterkeit gewürzt.
Mir war klar, dass wir noch nicht vollständig akklimatisiert waren, und die anderen bestätigten mir das. Sie sagten, sie seien durch das schnelle Tempo, das die Träger beim Stufenschlagen vorgelegt hatten, völlig erschöpft. Sie rieten daher zu großer Vorsicht beim Einsatz von Trägern für diesen Zweck, denn deren rohe Kraft und Ausdauer müssten als eine der naturgegebenen Gefahren beim Bergsteigen in Yogistan angesehen werden.
Das war eine ernste Angelegenheit. Zweifellos ist der Yogistani als Bergsteiger ein Naturtalent. Wenn er einmal so zivilisiert und gebildet sein wird, dass er Berge freiwillig besteigt, wird ihm vielleicht keiner mehr gleichkommen. Solange aber Initiative und organisatorische Verantwortung bei seinen Sahibs liegen, müssen seine nicht zu leugnenden Fähigkeiten unter Kontrolle gehalten werden. Um den Gipfel des Rum Doodle zu erreichen, war eine Partnerschaft von Hirn und Muskelkraft vonnöten; die Muskelkraft war unentbehrlich, musste aber den Weisungen des Hirns gehorchen. Wir waren uns einig darin, dass die Träger künftig daran gehindert werden sollten, Gesundheit und Sicherheit der Mannschaft zu gefährden. 86
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Bevor ich mich in jener Nacht zur Ruhe begab, stieg ich auf eine kleine Klippe oberhalb des Lagers, um mir die Aussicht anzuschauen. Sie war atemberaubend. Zur Linken erhob sich, unwirtlich und ehrfurchtgebietend, der Nord- Doodle über dem kleinen Lager. Rechts ragte die mächtige Flanke des Rum Doodle kahl und angsteinflößend im Abendlicht in die Höhe. Auf dem Gletscher unter mir war das Basislager bloß noch ein Haufen Punkte. Der Gletscher schlängelte sich in die Ferne und verschwand in einem Chaos von schneebedeckten Gipfeln und Felsspitzen. Ostwärts erstreckte sich eine endlose Gebirgswildnis, ein Gipfel mächtiger als der andere, so weit das Auge reichte. Es war atemberaubend. Überall ragten Türme und Felsspitzen in den Himmel und nahmen einem den Atem.
Noch immer atemlos kehrte ich zu meinem Zelt zurück. Dort fand ich Burley bereits in seinem Schlafsack; er nahm drei Viertel des Platzes ein. Ich kroch in das frei gebliebene Viertel, so gut ich konnte, und war dankbar, dass ich nicht größer war, als ich es bin. Endlich waren Burley und ich zusammen. Ich erhoffte mir, den vertraulichen Austausch vom Nachmittag fortzusetzen.
Schweigend lagen wir einige Zeit da, bis ich Burley fragte, ob er mir vielleicht von seiner Braut erzählen wolle. Warum?, wollte er wissen, und ich glaubte, eine gewisse Scheu mitschwingen zu hören. Ich sagte, dass es Männer einander näherbringe, über ihre Freunde und Familien miteinander zu reden. Er sagte, da ich es so ausdrücke, werde es ihm nichts ausmachen, mir davon zu erzählen. Aber es sei kein Thema, über das sich leichthin sprechen lasse, und ich würde gewiss verstehen, dass es nicht seine Art sei, mit jedem Wichtigtuer darüber zu plaudern.
Ich antwortete ihm, ich verstünde das nur zu gut und würde dementsprechend sein Vertrauen umso mehr zuschätzen wissen. Er erzählte mir, er habe seine Braut an einem Samstagnachmittag hinter der Anrichte im Esszimmer seines Vaters gefunden. Sie war schmächtig und klein, hatte einen Klumpfuß und eine Hasenscharte, und dementsprechend humpelte und lispelte sie. Sie war kurzsichtig und benutzte ein Hörrohr, weil
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