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Die Besteigung Des Rum Doodle

Die Besteigung Des Rum Doodle

Titel: Die Besteigung Des Rum Doodle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. E. Bowman
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ihm ein paar letzte Schluchzer entrangen. Dann lag er ganz still.
    Mir war nicht entgangen, dass sich die Atmosphäre gewandelt hatte, und nun wartete ich gespannt. Ich wurde nicht enttäuscht. Er begann zu sprechen, langsam und zögernd zunächst, dann aber immer flüssiger.
    Als Junge war Constant süchtig nach dem Zirkus gewesen. Zwar versuchten seine Eltern, ihm diese Leidenschaft auszutreiben, doch er behielt sie sein Leben lang, nur war sie mit zunehmendem Alter reifer geworden. Seine glücklichsten Erinnerungen kreisten alle um den Zirkus mit seiner besonderen Mischung aus Charakter, Bombast und Fantastischem, die sein tief verwurzeltes Bedürfnis nach Romantik befriedigte. Es war, sagte er, dasselbe Bedürfnis, das seine Berufswahl bestimmt hatte. Die Zirkusleute waren für ihnmehr als gewöhnliche Menschen; sie waren seine Ritter in glänzender Rüstung, seine Elfen, seine Zwerge, die Prinzen und Prinzessinnen seiner Jugend, alles zugleich. Auch alle seine Kindheitsträume kreisten um den Zirkus.
    Und seine erste und einzige Liebe war eine Zirkusartistin gewesen.
    Ihr Name war Stella. Sie trat mit einer Seehunde-Nummer auf und war, sagte Constant, das schönste Wesen auf der Welt. Adlige und Prinzen beteten sie an, doch sie war im Grunde ihres Herzens ein einfaches Mädchen und wollte mit ihnen nichts zu tun haben. Sie hatte sich geschworen, einen einfachen Mann zu heiraten und ihm einfache Kinder zu schenken.
    Es war Liebe auf den ersten Blick, und sie liebten einander, wie das nur bei einer ersten Liebe möglich ist. Er sah sich jeden ihrer Auftritte an, sie warf ihm jeden Abend zweimal Kusshändchen zu und außerdem bei den Matineen am Mittwoch und Samstag.
    Ihr vollkommenes Glück hatte nur einen Haken: Travers, der Hauptdarsteller der Seehundetruppe, mochte Constant nicht leiden. Er bellte, wann immer Constant sich Stella näherte. Während der Auftritte kam er an den Manegenrand und schnitt vor Constant Grimassen, was die Kinder erschreckte. Er (der Seehund) begann die Nahrung zu verweigern. An dem Abend, als Stella zum ersten Mal mit Constants Verlobungsring in die Manege trat, kam es zum Schlimmsten. Als Travers den Ring sah, stieß er einen Schrei aus, der die Herzen aller Anwesenden zerriss. Er stürzte sich auf den Boden und verbarg sein Gesicht in den Flossen.
    Stella brach das Herz. Sie hing sehr an ihren Seehunden und litt mit ihnen, als wären es ihre Kinder. Sie sagte Constant, sie ertrage es nicht länger, Travers Schmerz zuzufügen. Zudem vertraue sie dem Urteil des Tieres ganz und gar; seineAbneigung gegen Constant deute womöglich auf einen gravierenden Charakterfehler von Constant hin, der ihr verborgen geblieben war. Wenn es ihm nicht gelinge, die Freundschaft des Tieres zu erringen, wäre es zwischen ihnen aus und vorbei.
    Constant schwor, das werde er tun. Es war ein Abenteuer so recht nach seinem romantischen Herzen. Er bestellte Fischdelikatessen aus allen sieben Meeren, verbrachte seine ganze Freizeit am Becken bei Travers und versuchte unermüdlich, ihn mit leckeren Happen in Versuchung zu führen. Aber das arme Tier ließ sich nicht dazu bewegen. Sein Fressen nahm Travers nur aus Stellas Hand, und viel zu wenig davon. Er wurde dünn wie ein Aal.
    Constant war völlig verzweifelt. Er konsultierte Autoritäten auf dem Gebiet der Seehund-Psychologie und besuchte ergraute Seefahrer in verschiedenen Hemisphären. Stundenlang saß er in seiner Badewanne und versuchte, sich an Travers’ Stelle zu versetzen. Seine Zehen bekamen davon dauerhaft Falten, aber das Geheimnis, wie er die Zuneigung des Seehunds gewinnen könnte, blieb ihm verschlossen.
    Eines Tages spazierte er in düsterster Stimmung durch das Londoner Westend. Längst war ihm gleichgültig, was aus ihm werden würde, und plötzlich überkam ihn der unkontrollierbare Impuls, sein Elend durch einen Akt der Selbsterniedrigung unwiderruflich zu machen. Mit einem Schrei, der das Leben von drei Passanten veränderte, stürzte er wie wahnsinnig in ein Kino. Gerade fing ein Zeichentrickfilm an. Er spielte an einer felsigen Küste, wo eine bildschöne Meerjungfrau die Wesen aus der Meerestiefe mit einem Lied in ihren Bann zog. Unter ihren Zuhörern befand sich ein großer, gesund aussehender Seehund, der mit einem Ausdruck vollkommener Ekstase lauschte. Tief bewegt erblickte Constant in ihm das exakte Abbild von Travers in glücklicheren Zeiten.
    Er stürzte aus dem Kino, fuhr im Taxi direkt zum Zirkus und lief zu Travers’ Becken,

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