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Die Besteigung Des Rum Doodle

Die Besteigung Des Rum Doodle

Titel: Die Besteigung Des Rum Doodle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. E. Bowman
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Von jetzt an konnten wir uns zu jenen zählen, die äußerste Höhen betreten und in das letzte Bollwerk der Natur gegen den Fortschritt des menschlichen Geistes eingedrungen waren.
    Ich versuchte mir all das in Erinnerung zu rufen, was ich über das Bergsteigen in solchen Höhen gelesen hatte. Ich machte einen Schritt und wartete dann zehn Minuten. Das war, so viel hatte ich verstanden, unerlässlich. Unsere Vorgänger vertraten einhellig diese Auffassung: ein Schritt, dann eine Pause von zehn Minuten, oder sieben in einer Notsituation. Das allerdings war schwieriger als gedacht. Ich fand es keineswegs einfach, zehn Minuten lang in unveränderterStellung auszuharren. Zunächst drohte ich zur Seite umzukippen, dann bekam ich Krämpfe im Unterschenkel, als Nächstes fing meine Nase an zu jucken, und schließlich begann mein Fuß zu vibrieren und musste mit beiden Händen nach unten gedrückt werden. Das war sehr ermüdend, und wenn ich mich hinhockte, um meinen Fuß festzuhalten, befand ich mich tiefer als vor dem Schritt, den ich gemacht hatte, weshalb ich mich fragte, ob ich eigentlich an Höhe gewann oder verlor. Die geistige Anstrengung dabei war so groß, dass ich die Kontrolle verlor und von meiner Stufe herunterfiel.
    Ich wurde von So Lo nach oben gezogen und versuchte es erneut. Ich erkannte, wie wertvoll das, was ich über die Anstrengungen des Bergsteigens in hohen Lagen gelesen hatte, für mich war, bemerkte aber auch, dass die anderen die vorgeschriebene Prozedur zu ignorieren schienen. Während ich mich abmühte, die eingenommene Stellung zu halten, trotteten sie einfach Stufe um Stufe hinauf und zeigten sogar Anzeichen von Ungeduld. Bei den Trägern konnte ich das verstehen, Constant aber hätte es besser wissen müssen. Ich war im Begriff, ihm Vorhaltungen zu machen, als er sagte: »Was um Himmels willen tun Sie da, Binder?« Ich erklärte es ihm, und zu meiner Verblüffung bekam er einen Lachanfall. Er sagte, früher seien die Bergsteiger gezwungen gewesen, alle paar Schritte auszuruhen, weil sie außer Atem waren. Das habe daran gelegen, dass sie keine Sauerstoffgeräte benutzten. Heutzutage jedoch brauche niemand länger zu pausieren, als er Lust habe. In meinem Tempo würden wir den Berg nie besteigen.
    Ich war verblüfft. Nach einigem Nachdenken schien mir der Gedanke jedoch vernünftig, und ich beschloss, ihm eine faire Chance zu geben. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass der Aufstieg nicht wesentlich schwerer fiel als am Vortag. Icherwähne diesen Zwischenfall, in dem ich in keinem sehr vorteilhaften Licht erscheine, weil er eindrucksvoll vor Augen führt, wie man durch Bücherwissen in die Irre geführt werden kann. Für mich als Leser war es eine Lehre, nichts auf Treu und Glauben hinzunehmen, und für mich als Autor war es eine Lehre, mir größte Mühe zu geben, meine Leser nicht in die Irre zu führen.
    Kaum auszudenken, wie ich vorangekommen wäre, hätte nicht Constant mir auf die Sprünge geholfen.
    Bald empfand ich das Steigen als schwierig genug und rechnete mit dem Eintreten der seltsamen Phänomene, die sich in der dünnen Höhenluft einstellen. Ich erinnerte Constant daran, dass ich über eventuelle ungewöhnliche Erfahrungen unbedingt unterrichtet werden wollte, und als wir rasteten, rief ich die anderen über Funk an, um auch sie daran zu erinnern. Sie waren noch immer im Lager 1 und noch nicht akklimatisiert. Burley, mit dem ich sprach, erzählte mir, Wish sei an diesem Morgen besonders unausstehlich, ob das wohl eines der Symptome sei, die mich interessierten? Ich versicherte ihm, das sei zweifellos der Fall, und dankte ihm. Anscheinend griff sich Wish in diesem Moment das Funkgerät, denn nun hörte ich seine Stimme, die mir mitteilte, dass es gute Gründe für sein Verhalten gebe. Burley habe die ganze Nacht laut geschnarcht und er selbst deshalb kein Auge zugetan. Das Schnarchen sei durch die dünne Luft nicht etwa, wie vermutet, gedämpft worden, sondern viel geräuschvoller und widerwärtiger als je zuvor gewesen. Das sei, so sagte er weiter, ein Beispiel, wie sich in großer Höhe die wahre, animalische Natur eines Mannes enthülle. Burley sei offensichtlich für das Leben in Gemeinschaft in Höhen über 20 000 Fuß ungeeignet – sofern er überhaupt auf irgendeiner Höhe als dafür geeignet angesehen werden könne.
    Ich drückte Wish mein Mitleid aus, bat ihn aber auch, freundlich zu seinem Freund zu sein, der so viel zu ertragen habe. Er versprach, sich meiner Worte

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