Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
zuvor: «Einen Augenblick noch! Woher wissen wir denn, ob es ihre Handschrift ist?»
«Die Briefe sind von ihr geschrieben, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.»
«Ich besitze einen Brief von Mrs. Vole», sagte Mr. Mayhew, «aber leider nicht hier, sondern in meinem Büro.»
«Dann müssen wir uns eben für den Augenblick auf Sie verlassen», meinte Sir Wilfrid und händigte ihrdas Geld aus.
Er glättete die Briefe und begann zu lesen, während die Frau ein paar Schritte auf die Tür zu machte.
«Unglaublich», stieß Sir Wilfrid hervor.
«Diese kaltblütige Rachsucht!» erklärte Mr. Mayhew, der über Sir Wilfrids Schulter hinweg mitlas.
Sir Wilfrid ging auf die Frau zu: «Wie sind Sie überhaupt zu den Briefen gekommen?»
«Das möchtet ihr wohl wissen!»
«Was haben Sie eigentlich gegen Romaine Vole?»
Die Frau ging langsam zum Schreibtisch, drehte die Lampe so, daß das Licht auf ihr Gesicht fiel. Dann schob sie ihr Haar zur Seite. Sir Wilfrid wich mit einem Ausruf des Entsetzens zurück; die Wange war völlig zerschnitten und durch rote Narben entstellt
«Mein Gott, hat Mrs. Vole das getan?»
«Sie nicht. Aber der Kerl, mit dem ich ging. Es war ein ernstes Verhälnis. Er war ja ein bißchen jünger als ich. Aber er mochte mich gern, und ich liebte ihn. Dann kam sie dazu, verliebte sich in ihn und hat ihn mir abspenstig gemacht .Zuerst hat sie sich heimlich mit ihm getroffen, und eines Tages haute er ab. Ich ging ihm nach und fand sie zusammen. Ich habe ihr dann gesagt, was ich von ihr hielt, und da ging er auf mich Ios. Er gehörte zu einer Rasiermesserbande und hat mein Gesicht schön zurechtgestutzt. ‹So, jetzt sieht dich kein Mann mehr an›, hat er noch gesagt.»
Sir Wilfrid fragte tief gerührt: «Haben Sie ihn nicht angezeigt?»
«Ich? Seh' ich so aus? Außerdem war er ja nicht schuld daran, sondern sie-sie ganz allein. Sie hat ihn mir ausgespannt und gegen mich aufgehetzt .Aber ich habe auf eine günstige Gelegenheit gelauert. Ich habe ihr nachgestellt und sie beobachtet. Ich weiß so einiges von ihr. Weiß auch, wo der Bursche wohnt, den sie hin und wieder heimlich besucht .Auf diese Weise habe ich auch die Briefe in die Hände gekriegt. So,jetzt kennen Sie die ganze Geschichte, Mister. Möchten Sie mir nicht vielleicht einen Kuß geben, Herr Rechtsanwalt?»
Sie strich das Haar wieder zur Seite und hielt Sir Wilfrid die zerschlitzte Backe hin. Als er zurückwich, lachte sie kurz auf. «Na, ich nehme es Ihnen nicht krumm, wenn Sie kein Verlangen spüren.»
«Sie tun mir aufrichtig leid», stammelte Sir Wilfrid, dem der Auftritt sehr peinlichwar. «John, hast du noch einen Fünfer?»
Als Mr. Mayhew ihm die leere Brieftasche zeigte, nahm Sir Wilfrid einen Fünfpfundschein aus seiner eigenen Tasche und reichte ihn ihr: «Wollen noch fünf Pfund hinzulegen.»
Die Frau griff hastig danach «So, ihr habt mich also hintergangen, wie? Hab's ja gleich gewußt, daß ich viel zu nachgiebig war. Die Briefe haben es in sich, was?»
«Ja», entgegnete Sir Wilfrid, «ich glaube, sie werden uns nützlich sein. John, lies einmal diesen.»
Während sich die beiden Anwälte von neuem über die Briefe beugten, schlich sich die Frau auf leisen Sohlen zurTür hinaus. «Wir ziehen am besten einen Handschriftenexperten hinzu», schlug Mr. Mayhew vor.
«Vor allen Dingen», erklärte Sir Wilfrid, «müssen wir den Namen und die Adresse des Mannes haben, an den die Briefe gerichtet sind.»
Er drehte sich um und entdeckte zu seiner Überraschung, daß die Frau verschwunden war. Er stürzte ins Vorzimmer und schickte Greta hinter ihr her.
«Bei diesem Nebel», meinte er resigniert, als er zu Mr. Mayhew zurückkehrte, «wird es nicht viel Zweck haben. Verdammt noch mal.»
«Du wirst den Namen nie erfahren. Sie hat alles sehr sorgfältig ausgeklügelt. Weigerte sich sogar, uns ihren Namen zu geben, und schlüpfte uns dann wie ein Aal durch die Finger. Es ist ein zu großes Risiko für sie, als Zeugin aufzutreten.»
«Sie würde unter Schutz stehen», wandte Sir Wilfrid ein. Aber es klang nicht sehr überzeugend.
«So? Wie lange wohl? Letzten Endes würde er sie doch fassen. Sie hat schon allerlei gewagt, indem sie hierherkam. Den Mann will sie ja auch nicht mit hineinziehen. Sie hat es in der Hauptsache auf Romaine Heilger abgesehen.»
«Und was für ein nettes Pflänzchen unsere teure Romaine ist! Aber jetzt werden wir ihr das Handwerk schon legen.»
3
Am nächsten Morgen begann der letzte
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