Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
sie ihre Plätze wieder eingenommen hatten, forderte der Sprecher den Angeklagten auf, sich zu' erheben, und fragte dann die Geschworenen: «Sind Sie sich alle über das Urteil einig?»
Der Obmann stand auf und antwortete: «Ja.»
«Haben Sie den Angeklagten, Leonard Vole, für schuldig oder für nicht schuldig befunden?»
«Nicht schuldig, Mylord.»
Dieses Urteil löste ein beitalliges Gemurmel unter den Zuschauern aus, das aber sehr schnell vorn Gerichtsdiener unterdrückt wurde; denn nun sprach der Richter zu dem Angeklagten:
«Leonard Vole, Sie sind des am 14. Oktober an Emily French verübten Mordes für nicht schuldig erklärt worden. Sie werden hiermit freigesprochen und können den Gerichtssaal verlassen.»
Der Richter erhob sich, und alle Anwesenden folgten seinem Beispiel.
Allmählich leerte sich der Gerichtssaal, und schließlich blieben nur noch Leonard Vole und seine beiden Anwälte zurück Vole bedankte sich bei ihnen, daß sie ihn aus einer «ekelhaften Patsche», wie er sich ausdrückte, gerettet hatten. Er machte jedoch Sir Wilfrid den Vorwurf, daß er zu scharf gegen Romaine vorgegangen sei.
«Hören Sie mal, Vole», entgegnete Sir Wilfrid mit großem Nachdruck, «Sie sind nicht der erste junge Mann, der in eine Frau vernarrt und infolgedessen so mit Blindheit geschlagen ist, daß er nicht erkennt, wie sie in Wirklichkeit ist. Diese Frau hat alles darangesetzt, um Ihnen die Schlinge um den Hals zu legen.»
«Ja, aber warum? Das kann ich immer noch nicht begreifen. Sie schien stets so voller Hingabe zu sein. Ich hätte schwören können, daß sie mich liebte und doch hatte sie die ganze Zeit diesen anderen am Bändel.» Er schüttelte den Kopf. «Unglaublich. Es muß etwas anderes dahinterstecken.»
In diesem Augenblick schob ein Polizist Romaine Heilger durch die Tür mit den Worten: «Sie warten am besten hier drinnen. Draußen ist noch eine große Menschenmenge versammelt, und die Volksseele kocht. An Ihrer Stelle würde ich warten, bis die Masse sich verlaufen hat»
Mrs. Heilger bedankte sich und eilte schnurstracks auf Leonard Vole zu. Aber Sir Wilfrid versperrte ihr den Weg.
«Wollen Sie Leonard etwa vor mir schützen?» frage Romaine Heilger mit leichter Ironie.
«Das ist wirklich nicht notwendig.»
«Sie haben genügend Unheil angerichtet», brummte Sir Wilfrid.
«Darf ich Leonard nicht einmal gratulieren, daß er nun frei... und reich ist?»
«Reich?» fragte Vole zögernd.
«Ja, Mr. Vole, ich glaube, Sie werden Ihre Erbschaft bald antreten können», versicherte ihm Mr. Mayhew.
«Nach allem, was ich durchgemacht habe, scheint Geld keine besondere Rolle zu spielen.
Romaine, ich kann nicht verstehen...»
«Leonard», fiel sie ihm ins Wort, «Ich kann dir alles erklären.»
«Nein!» donnerte Sir Wilfrid dazwischen.
Mrs. Heilger und Sir Wilfrid blickten sich feindselig an.
«Sagen Sie mir, Sir Wilfrid, komme ich nun wegen Meineides ins Gefängnis?»
«Das ist so gut wie sicher. Es mag Sie vielleicht interessieren, daß ich Sie gleich bei unserer ersten Begegnung durchschaut habe. Ich habe mir damals sofort geschworen, Ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Und beim Barte des Propheten, ich habe es geschafft! Ich habe Vole freibekommen trotz ihrer Schliche!»
«Trotz – meiner Schliche! Würde man mir geglaubt haben, wenn ich gesagt hätte, Leonard sei an dem Abend bei mir zu Hause gewesen und nicht wieder fortgegangen? Nein, man hätte sich gesagt: diese Frau liebt den Mann – sie würde alles für ihn sagen und tun. Gewiß, man hätte mir vielleicht Sympathie entgegengebracht. Aber geglaubt hätte man mir nicht»
«Wenn Sie die Wahrheit gesprochen hätten, schon.»
«Na, ich weiß nicht... Jedenfalls wollte ich keine Sympathie – ich wollte Abscheu und Mißtrauen erwecken, wollte die Geschworenen davon überzeugen, daß ich verlogen sei. Und als ich dann von Ihnen als Lügnerin entlarvt wurde, da glaubten sie endlich...» Sie machte plötzlich eine Handbewegung, und ihre Stimme nahm einen völlig veränderten, vulgären Ton an, als sie fortfuhr: «So, nun kennen Sie die ganze Geschichte, Mister möchten Sie mir nicht vielleicht einen Kuß geben, Herr Rechtsanwalt?»
Sir Wilfrid war wie vom Donner gerührt. «Mein Gott! Sie sind also...»
«Die Frau mit den Narben und den Briefen. Jawohl. Ich hatte die Briefe geschrieben, die ich Ihnen brachte. Ich hatte mir die Narben aufgemalt, die Ihren Ekel und Ihr Mitleid erregten.
Nicht Sie haben Leonard das
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