Die besten Crime-Stories.: Meistererzählungen der Queen of Crime
schlug, befand er sich bereits auf dem Weg. Um zehn Uhr dreißig drückte seine Hand auf die Klingel. Erst dann, nicht einen Augenblick früher, erlaubte er sich einen tiefen Atemzug der Erleichterung. «Ist Mrs. Haworth da?»
Es war dieselbe ältere Frau, die ihm gestern aufgemacht hatte. Ihr Gesicht war jedoch völlig verändert – von Gram zerfurcht
«O Sir! O Sir – haben Sie es denn noch nicht gehört?»
«Was gehört?»
«Miss Alistair, das arme Schäfchen! Ihre Tropfen! Jeden Abend nahm sie sie. Der arme Captain ist außer sich – fast wahnsinnig ist er. In der Dunkelheit hat er die falsche Flasche vom Bord genommen... Der Doktor wurde zwar - gleich geholt, aber es war zu spät...»
Und dann fielen Macfarlane plötzlich wieder ihre Worte ein: ‹Ich habe immer gewußt, daß irgend etwas Entsetzliches drohend über ihm hängt... Davor möchte ich ihn bewahren – wenn es überhaupt zu verhindern ist...»
Aber das Schicksal läßt sich nicht betrügen... Seltsames Verhängnis der Vision, das zerstört hatte, wo es zu retten versuchte...
Die alte Frau fuhr fort: «Mein armes Lämmchen! So süß und so freundlich war sie immer, und so leid tat es ihr, wenn irgendwo Kummer herrschte. Sie konnte es nicht ertragen, daß jemand verletzt wurde.» Sie zögerte, fügte dann jedoch hinzu: «Möchten Sie nach oben gehen und sie noch einmal sehen, Sir? Nach allem, was sie sagte, nehme ich an, daß Sie sie schon seit langem kennen. Seit sehr langer Zeit, sagte sie...»
Macfarlane folgte der alten Frau die Treppe hinauf in das Zimmer, das über dem Wohnraum lag, wo er tags zuvor ihre singende Stimme gehört hatte. Im oberen Teil der Fenster war buntes Glas eingelassen. Es warf rotes Licht auf das Kopfende des Bettes... Eine Zigeunerin mit einem roten Tuch um den Kopf... Unsinn! Seine Nerven spielten ihm schon wieder einen Streich. Lange schaute er Alistair Haworth zum letztenmal an.
«Eine Dame möchte Sie sprechen, Sir»
«Was ist?» Geistesabwesend sah Macfarlane seine Wirtin an. «Oh, Verzeihung, Mrs. Rowse, ich fange schon an, Gespenster zu sehen.»
«Wirklich, Sir? Nach Einbruch der Dunkelheit kann man auf der Heide manchmal schon merkwürdige Dinge sehen; einmal ist es die Weiße Dame, dann wieder der Teufelsschmied, oder auch der Seemann und die Zigeunerin.»
«Was sagten Sie eben? Der Seemann und die Zigeunerin?»
«Das behaupten die Leute wenigstens, Sir. Als ich noch jung war, erzählten die Leute eine Geschichte darüber. Vor einer ganzen Weile hätten die beiden sich geliebt und zerstritten... Aber jetzt sind sie schon lange Zeit nicht mehr gesehen worden.»
«Wirklich? Vielleicht, daß sie – möglicherweise – jetzt wieder...»
«Um Gottes willen, Sir! Sagen Sie so etwas nicht! Und die junge Dame...»
«Welche junge Dame?»
«Die Sie sprechen möchte. Sie ist im Gastzimmer. Eine Miss Lawes – so hat sie gesagt.»
«Oh!»
Rachel! Er verspürte ein seltsames Gefühl des Zusammenziehens, ein Verschieben der Perspektive. Heimlich hatte er in eine andere Welt hineingeschaut. Rachel hatte er darüber vergessen, denn Rachel gehörte allein zu diesem Leben... Wieder dieses merkwürdige Verschieben der Perspektiven, dieses Zurückgleiten in eine Welt mit nur drei Dimensionen.
Er öffnete die Tür zum Gastzimmer. Rachel – mit ihren ehrlichen braunen Augen. Und plötzlich, als erwache er aus einem Traum, überwältigte ihn eine warme Welle freudiger Wirklichkeit. Er lebte – lebte! Und er
Die Uhr war Zeuge
Gedankenvoll blickte der zierliche Mr. Sattersway seinen Gastgeber an. Zwischen den beiden Männern herrschte eine merkwürdige Freundschaft. Der Colonel entstammte dem Landadel und hatte eine einzige Leidenschaft: den Sport. Die wenigen Wochen des Jahres, die er aus geschäftlichen Gründen in London verbringen mußte, machten ihm nie Freude. Mr. Sattersway hingegen war ein Stadtmensch, der alles über französische Küche, die neueste Mode und die letzten Skandale wußte. Das Studium der menschlichen Natur war seine Leidenschaft. Darin hatte er es zur Meisterschaft gebracht.
Deshalb schien es so, als hätten er und Colonel Melrose wenig Gemeinsames, denn der Colonel zeigte kaum Interesse für die Angelegenheiten seiner Mitmenschen und verabscheute Emotionen. Hauptsächlich waren die Männer Freunde, weil schon ihre Väter befreundet gewesen waren. Außerdem hatten sie denselben Bekanntenkreis und die gleichen reaktionären Ansichten über die nouveaux riche.
Es war gegen halb
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