Die besten Freunde meines Lebens - Roman
ein echter Trampel. Ich sollte lernen, die Klappe zu halten.«
Vorsichtig lächelnd hakte sich Nicci bei Lizzie unter. »Ich dachte einfach nur, dass du in Jeans besser aussehen würdest – und das stimmt. Komm«, sagte sie, »ich bin mit meiner Freundin Jo im Café verabredet. Du wirst sie bestimmt mögen. Sie hat im Wohnheim das Zimmer neben mir. Sie ist die erste Freundin, die ich hier kennengelernt habe.« Sie grinste vergnügt, ehe sie zu Lizzies grenzenlosem Erstaunen hinzufügte: »Und du bist die zweite.«
Für Jo sollte es der erste Tag vom Rest ihres Lebens werden, der Tag, an dem das Leben wirklich begann. Doch als sie in ihrem Einzelzimmer im dritten Stock des Wohnheims auf einer noch nicht bezogenen Matratze saß, fühlte sie sich so einsam und verloren wie noch niemals zuvor.
Ihre Eltern waren vor einer Stunde abgereist, und seitdem hatte Jo sich nicht von der Stelle bewegt. Sie saß reglos da, umgeben von schwarzen Mülltüten, Kartons und einem neuen John-Lewis-Koffer . Saß da und starrte auf den Abfall, den der letzte Zimmerbewohner hinterlassen hatte: Blaue Posterstrips klebten an den Wänden, wo zuvor eine Foto collage befestigt gewesen war, an einer Korkpinnwand hingen immer noch verblichene Konzertkarten, Smiley-Stickers ver deckten das ohnehin nicht gerade große Fenster. Ein Sammelsurium an Hinterlassenschaften, das von der Beliebtheit des früheren Bewohners von Zimmer 303 kündete. Bisher deutete alles darauf hin, dass Jo das Gegenteil von »beliebt« sein würde.
In Anbetracht der desinteressierten Blicke und gereizten Seufzer, als sie ihr Gepäck in den Lift hievte, war Jo überzeugt, dass Freundinnen, deren Fotos an diesen Wänden hängen könnten, dünn gesät waren.
Sie fühlte sich, als wäre sie plötzlich wieder elf Jahre alt, und gönnte sich ein paar Minuten, um in Selbstmitleid zu schwelgen. Sie kannte hier absolut niemanden und hatte keine Ah nung, wie sie das ändern sollte. Wahrscheinlich würde sie mit ten i m Trimester wieder heimfahren nach Watford; ohne Freunde, ohne bestandene Prüfungen und zu einer Schar von Leuten, die ihr sofort erklären mussten, mit ihrem Wunsch, einen Studienabschluss zu machen, habe sie sich wohl überschätzt.
Zehn Minuten. Danach würde sie sich zusammenreißen.
Jo lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, als an der Tür plötzlich ein scharfes Klopfen ertönte. Haargenau so klopfte ihre Mutter, wenn sie vorgab, Jos Privatsphäre zu respektieren, aber ohne hin hereinkommen würde.
Noch bevor Jo »kleinen Moment noch« rufen konnte, geschweige denn Zeit hatte, sich die Nase zu putzen und die Tränen aus ihren Augen zu wischen, ging die Tür auf, und ein kleines, markantes Gesicht mit riesigen kajalumrandeten Augen und stachligem weißblondem Haar tauchte auf.
»Hi. Ich störe doch hoffentlich nicht, oder?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, kletterte die junge Frau über Jos Mülltüten und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Schrank. Einen Fuß bewegte sie hektisch zum Bass von »Smells Like Teen Spirit«, das vom unteren Stock heraufschallte. Sie trug eine abgewetzte Lederjacke über einem ausgeblichenen, kurzen Blümchenkleid, und ihre dünnen gebräunten Beine steckten bis zu den Knien in abgetragenen Doc-Martens-Schnürstiefeln.
Jo zog ihr Hello-Kitty-T-Shirt über ihre zu großen Brüste und wünschte sich, ihr Haar wäre nicht mausbraun und mit einem rosa Haargummi nach hinten gebunden. Sie war sich noch nie im Leben so unscheinbar vorgekommen.
»Ich heiße Nicci Gilbert«, sagte die junge Frau. »Wir sind Nachbarn. Ich wollte mir eigentlich die Studentenkneipe ansehen, aber irgendwie hatte ich nicht den Mumm, da allein reinzugehen. Offen gestanden«, fügte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit hinzu, »kenne ich hier außer dir niemanden, deshalb dachte ich, wir könnten uns gegenseitig etwas moralische Unterstützung geben.«
4. Kapitel
»Genau dazu sind sie gedacht.« Jo zog einen Brief aus der Handtasche. Das einstmals blütenweiße Papier war nun abgegriffen, die dunkelblaue Tinte durch Tränen verschmiert.
Sie mochte jetzt statt mausbrauner gesplisster Haare und pinkfarbenem Haargummi sündteure Strähnchen und einen Haarschnitt für eine dreistellige Summe haben. Und statt Babyspeck die Figur einer durchtrainierten Läuferin. Dennoch benötigte sie Niccis moralische Unterstützung mehr denn je.
»Zur moralischen Unterstützung?«, schnaubte Mona, wäh rend sie ihren eigenen Brief aus der Jackentasche
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