Die besten Freunde meines Lebens - Roman
jetzt dieser Schuppen, nur zweihundert Meter von der Küche entfernt, in der wir so viel Zeit verbracht haben.« Sie machte eine umfassende Geste. »Ich habe nicht einmal gewusst, was sich hier drinnen alles befindet. Ihr vielleicht?«
»Ich dachte, sie hätte hier nur alte Blumentöpfe, Plastikkübel und Tüten mit Kompost gebunkert.« Mona wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Sie hat nie erzählt, dass sie sich hier ihr eigenes kleines Reich eingerichtet hat.«
»Es ist, als wäre sie fortgegangen«, sagte Jo, während sie auf stand und ihren Rock glatt strich, »und hätte die Landkarte mitgenommen.« In ihrer Stimme schwang Verlorenheit.
»Sie hat uns die Briefe dagelassen«, bemerkte Lizzie.
»Die sind keine Karte«, erwiderte Mona gereizt und stampfte gegen die Kälte mit den Füßen. »Die geben nicht einmal eine oberflächliche Orientierung.«
5. Kapitel
Es muss gemacht werden, sagte sich Jo. Jemand muss Niccis Kleidung aussortieren, und dieser Jemand werden wir sein. David ist dazu nicht in der Verfassung.
Der Verkehr auf der Hauptstraße war lahmgelegt: ein Chaos, verursacht durch die übliche Kombination aus Bauarbeiten und Parken in zweiter Reihe. Dazu kam noch ein eisiger Nieselregen, so deprimierend, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, es könnte jemals schönes Wetter gewesen sein.
Jo warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. Halb sieben. Zu früh und zugleich zu spät. Als sie aus dem Büro aufgebrochen war, hatte sie geglaubt, sie hätte mehr als genug Zeit. Das war vor einer Dreiviertelstunde gewesen, und seitdem war sie nicht mal eine Meile vorangekommen.
Sie war mit den anderen erst gegen sieben in Niccis Haus verabredet – für sie würde es immer Niccis Haus sein –, doch angesichts des Staus – gerade mal ein Auto schaffte es, bei Grün über die Ampel zu kriechen – hatte es wenig Sinn, vorher noch nach Hause zu fahren. Allerdings hatte sie Si ver sprochen zu kommen, da heute Mittwoch war, sein Abend mit Sam und Tom. Sis Söhne aus erster Ehe übernachteten jeden Mittwoch bei ihnen, wie auch an jedem zweiten Wochenende und in der Hälfte aller Schulferien. So lautete die Abmachung.
Das Abendessen war kein Thema. Mittwochabends stand Pizza auf dem Plan. Jede Woche dieselbe Bestellung: alsVorspeise Hühnchenteile mit Soße, danach Medium-Pizzas mit Würstchenrand und einem widerlichen Belag aus undefi nierbarem Fleisch und zum Abschluss Brownies und Schoko ladeneis. Ein fetter Sargnagel, mit dem Motorrad frei Haus geliefert. Jo hatte es seit Langem aufgegeben, den Jungs Gemüse aufzuzwingen, obwohl Si ihr all seine kleinen Tricks verraten hatte, mit denen man ihnen gesunde Kost unterjubeln könnte. Der Pizzaservice konnte die Uhr nach Sams und Toms Bestellung stellen. Ihre Mutter war davon nicht begeistert, doch diesen Kampf musste Si führen. Das hatte Jo im Lauf der Jahre gelernt. Wie auch immer, Kohlehydrate und Fett ölten den Motor der häuslichen Harmonie. Und Pizza direkt aus der Schachtel reduzierte den Abwasch.
Wäre es nicht sinnvoller, wenn sie sich überhaupt nicht zu Hause blicken ließe, statt auf einen Sprung vorbeizuschauen, den Jungs kurz Hallo zu sagen und wieder abzudüsen? Wenn sie jetzt einen Abstecher nach Hause machen würde, käme sie zu spät bei Nicci an, dabei war sie diejenige gewesen, die David versprochen hatte, sie werde mit den anderen auf die beiden Mädchen aufpassen und sie ins Bett bringen, damit er unbesorgt ausgehen konnte.
Von sorgenfreiem Ausgehen konnte wohl kaum die Rede sein, wenn die Babysitter eine halbe Stunde zu spät aufkreuzten. Oder man den Verdacht hatte, einem der Babysitter könnte das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder übertragen worden sein.
Zu spät bemerkte Jo, dass die Nachrichten vorbei waren und eine dieser nervenden Comedy-Nachrichtensendungen lief. Sie schaltete die Programme durch, fand im dritten klassische Musik, die sie nicht kannte, und im ersten Popmusik, die sie ebenfalls nicht kannte. Seufzend schaltete sie das Radio aus. Wann war sie nur so alt geworden?
Doch die Stille war noch schlimmer, da nun die Gedanken auf sie einstürmten.
Capsule Wardrobe war Nicci. Diese Tatsache war Jo in den ersten Wochen nach Niccis Tod unmissverständlich vor den Latz geknallt worden. Jedes Meeting, jedes Telefongespräch und jede E-Mail kündete lauthals von Niccis Abwesenheit. Sie zeigte sich in den Blicken der Stammkunden; im Mitleid der Lieferanten, die auf Zehenspitzen um sie
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