Die besten Freunde meines Lebens - Roman
ins Wort. Durch das kleine Fenster hatte sie beobachtet, wie David durch den dunklen Garten zum Haus zurückgegangen war. Seine hängenden Schultern und der müde, schlurfende Gang verrieten seine innere Qual. »Es ist doch seltsam, dass er nicht mit der Wimper gezuckt hat, als wir uns ganz selbstverständlich Zugang zum Schuppen verschafft haben – noch dazu mit dem Schlüssel seiner Frau. Vielleicht wartet er darauf, dass wir den ersten Schritt machen.«
Jos Argumentation ließ die beiden anderen Frauen für eine Weile verstummen.
»Was hat er gesagt?«, fragte Lizzie schließlich, an Mona gewandt. »Als er dir den Brief übergeben hat, meine ich. Wie hat er gewirkt?«
Mona zuckte die Achseln. »Total fertig. Als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Und so war es vermutlich auch. Gesagt hat er nicht viel. Er war eindeutig nicht in Stimmung für eine Tasse Tee und ein Schwätzchen. Nein, er hat mir den Brief überreicht und irgendwas gemurmelt wie: ›Nicci wollte, dass ich dir das gebe.‹ Wir haben uns umarmt, nur ganz flüchtig, wie mir jetzt einfällt. Er wollte ganz offensichtlich so schnell wie möglich wieder verschwinden. Er meinte, die Mädchen würden im Auto warten.«
»Was auch stimmte«, stellte Jo klar.
»Ich habe das hier gefunden«, sagte Jo und zog ein zerknittertes Foto aus ihrer Manteltasche. »Nachdem ich den Brief gelesen hatte – bestimmt an die hundert Mal –, bin ich auf den Dachboden gegangen und habe mein Exemplar von Die Glasglocke hervorgekramt, das Nicci mir zum Geburtstag geschenkt hat.«
Mona und Lizzie stöhnten.
»Sie war eine Zeit lang völlig besessen von diesem verdammten Buch«, knurrte Lizzie.
»Total deprimierende Lektüre«, fügte Mona hinzu. »Ich glaube, ich habe mein Exemplar schon vor Jahren in den Müll geworfen, noch bevor ich nach Australien gegangen bin.«
»Wie auch immer«, fuhr Jo fort, »dieses Foto ist herausgefallen. Ich muss es als Einmerkzeichen benutzt und dann vergessen haben.«
Sie strich das Foto glatt und hielt es hoch. Das Bild hatte sich dort, wo Blitzlicht zu sehen war, rosa verfärbt, und auf der Rückseite klebten noch die Posterstrips.
»An diesen Abend kann ich mich noch gut erinnern!«, rief Mona aus. »Es war gleich nachdem ich bei euch eingezogen bin.«
Besorgt musterte Jo ihre Freundin. Auch wenn Mona glaubte, sie würde es gut verbergen, machte es ihr doch nach wie vor zu schaffen, dass sie als Letzte zu der kleinen Clique gestoßen war.
Das Foto zeigte die vier Freundinnen kurz vor einer Party. Posen, Schnuten und Grinsen vor der Kamera, die mit Selbstauslöser auf einem Regal balanciert hatte. Alle vier mit diesen Frisuren der frühen Neunziger, die eigentlich noch in die späten Achtziger gehört hatten. Außer natürlich Nicci. Sie hatte raspelkurzes, gebleichtes Haar, das wie selbst geschnitten aussah, was in der Tat zutraf.
»Ganz schön sexy, unsere Jo!«, rief Lizzie lachend. Jo war es eher peinlich, wie sie, nur mit einem Handtuch bekleidet, für die Kamera ihre Brüste hochhob. Als wären sie damals nicht schon groß genug gewesen. Lizzie war ganz wilde rote Mähne, gekleidet in ein übergroßes Männerhemd und Levi’s 501, ein Look, den sie in ihrem ersten Trimester an der Uni unter Niccis Anleitung angenommen und jahrelang gepflegt hatte. Wie immer verdeckte das Haar ihr Gesicht.
Mona war in der Hippie-Phase, die ein Vorbote ihrer späteren Reiselust war. Ein langer indischer Rock, Flatterhemd und darüber eine mit Spiegelpailletten bestickte Weste. Jede andere hätte darin unförmig ausgesehen, doch sie wirkte so schlank wie immer. Außer Mona würde wohl keine Frau auf die Idee kommen, ihre langbeinige, grazile Modelfigur derart zu verhüllen.
Und Nicci? Sie machte auf Courtney Love.
Doc Martens, lachsfarbener Satinunterrock, darüber die original Bikerjacke aus den Sechzigern, das Haar stachelig. Eine Flasche Wodka in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. Jo machte einen Schmollmund, Monas Miene war rätselhaft und Lizzie grinste. Nicci wiederum hatte den hochmütig-aggressiven Ausdruck eines Rockstars und diese Wildheit im Blick. Die Wildheit, die erst dann verblasste, als sie David kennenlernte.
Lizzies Schniefen durchbrach die Stille. »Tempos nach wie vor Fehlanzeige, oder?«, fragte sie und sah sich im Schuppen um. Ihr Blick fiel auf die Überreste einer Küchenpapierrolle. Sie riss sich ein Stück ab und reichte die Rolle an die anderen weiter.
»Nicci hat in dieser Lederjacke gelebt«,
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