Die besten Freunde meines Lebens - Roman
herumschlichen.
Oh, keine Frage, ohne Jo würde die Firma nicht lau fen. Jo war Managerin, Organisatorin und Buchhalterin in einem. Sie war diejenige, die die Show am Laufen hielt. Tag ein und tagaus. Doch es war Niccis angeborener Sinn für Stil gewesen, der Capsule Wardrobe zu dem gemacht hatte, was es war. Jo war es schleierhaft, wie sie den Betrieb ohne Nicci weiterführen sollte. Dennoch musste sie den Mitarbeitern ständig erzählen, es würde alles gut werden. Das Internet-Geschäft blühte. Der Name war bekannt, der Ruf ausgezeichnet; daran würde sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern.
Kelly, Niccis rechte Hand, bemühte sich wirklich nach Kräften, Niccis Platz auszufüllen. Sie saß bis spät nachts an ihrem Laptop, durchforstete unermüdlich die Modenschauen, notierte die Teile, die sich für den treuen Kundenstamm von Capsule Wardrobe eigneten. Teile, die den Trends der neuen Saison ihre Reverenz erwiesen, aber auch darüber hinaus noch getragen werden konnten und somit ihren drei- oder gar vierstelligen Preis rechtfertigten – sich also »Cost per Wear« rechneten. Jeden Morgen drückte sich Kelly auf Jos Türschwelle herum wie ein Hündchen, das unbedingt gestreichelt werden wollte. Sehnte sich nach Lob für ihre Liste an Outfits, ihre Trend-Notizen, ihre Kaufvorschläge. Und jeden Morgen lobte Jo sie und sah, wie Kellys Züge sich vor Erleichterung glätteten. Doch in Wahrheit war Jo nicht überzeugt.
Sie wusste wirklich nicht, woran es lag, und hatte auch keine Ahnung, wie sie das Problem lösen sollte. Doch Tatsache war, dass Kelly trotz aller Begeisterung und harter Arbeit einfach nicht über Niccis Geschmack verfügte, über Niccis Talent, einen mottenzerfressenen Mantel mit Leopardenmuster überzuwerfen, den Gürtel in der Taille fest zuzuschnüren und damit wie die junge Liz Taylor auszusehen und nicht wie eine abgetakelte Fregatte.
Kelly hatte es einfach nicht drauf. Schlimmer noch, Jo war sich ziemlich sicher, dass sie es auch niemals lernen würde.
Solange Nicci da war, konnte Kelly sich von ihr inspirieren lassen, aber Nicci war nicht mehr da.
Und dann waren da noch Si und die Jungs, die Jos Aufmerksamkeit brauchten, aber in letzter Zeit von ihr sträflich vernachlässigt worden waren. Genauer gesagt, seitdem klar wurde, wie es um Nicci stand.
Und jetzt gab es auch noch Charlie und Harrie.
Nicci hatte es gut gemeint, keine Frage. Bis zu ihrer Krebserkrankung hatte Nicci hilflos mit angesehen, wie Jo immer unglücklicher wurde, als erst ein, dann zwei und schließlich drei Versuche mit künstlicher Befruchtung fehl schlugen. Und jetzt … Wie sollte es weitergehen? Das wussten weder Jo noch Si. Seit Niccis Krebs als unheilbar diagnostiziert worden war, hatten sie dieses Thema stillschweigend vermieden.
Jo vergötterte ihre Patenkinder, aber … Hinter ihr drückte irgendein Idiot auf die Hupe. Erst jetzt bemerkte Jo, dass der Geländewagen vor ihr ein, zwei Meter weitergerollt war und einen Streifen nassen Asphalts freigegeben hatte. Zwi schen ihrem Wagen und der roten Ampel befanden sich immer noch vier Autos. Toller Fortschritt! Welchen Unterschied machte es da, ob sie jetzt oder in fünf Minuten weiterfuhr?
Im Rückspiegel beobachtete sie, wie der Mann mittleren Alters, der in dem feisten BMW saß, ungeduldig auf das Lenkrad trommelte. Es war zu dunkel, um ihn deutlich zu sehen, aber Jo war sonnenklar, dass seine Miene ein verächtliches »Frauen am Steuer« ausdrückte.
Trottel, dachte sie, während sie den Fuß von der Bremse nahm und mit ihrem Golf zum vorderen Wagen aufschloss.
Charlie und Harrie … Drei Wochen waren vergangen, und noch immer hatte Jo kein Wort zu Si gesagt, geschweige denn zu David. Sie wusste bei keinem der beiden, wie sie es ihm beibringen sollte.
Si war ein guter Kerl. Ein Kümmerer, hatte Nicci ihn genannt. Der Typ Mann, der an einem langen, ereignislosen Sonntag wusste, was zu tun war. Hart arbeitend, verlässlich und stets freundlich. Mit fünfundvierzig immer noch sexy und mit einem straffen, durchtrainierten Körper gesegnet, da er zweimal in der Woche zum Schwimmen ging. Zudem hatte er noch volles Haar, jede Menge davon. Sie liebte ihn, mitsamt Anhang und allem Ballast.
Natürlich spürte er, dass etwas in der Luft lag. »Was ist eigentlich los?«, hatte er vor zwei Tagen gefragt, nachdem sie sich bis zur Erschöpfung geliebt hatten, die Lichter aus waren und Jo gehofft hatte, er wäre eingeschlafen. Sie ließ ihn in der Überzeugung,
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