Die besten Freunde meines Lebens - Roman
erfahren. Aber ich benötige keine Erlaubnis von ihm.«
Mit dem Karton in den Armen drehte Jo sich zu ihren Freundinnen um. »Macht mal halblang, Leute«, sagte sie betont locker. »Ihr habt ständig in mich hineingeredet, dass ich jemanden einstellen soll. Und jetzt, da ich es tun will, seht ihr mich an, als hätte ich Nicci exhumiert.«
»Sie wurde verbrannt«, entgegnete Mona automatisch.
Wütend ließ Jo die Kiste auf das Bett fallen und setzte sich daneben.
»Wir wundern uns nur, dass du es nicht schon früher erwähnt hast, das ist alles«, sagte Lizzie, während sie sich ebenfalls aufs Bett setzte und Jo ihr Glas reichte. »Du hast immer total ablehnend reagiert, wenn jemand das Thema angeschnitten hat.«
Jo trank einen tiefen Schluck aus Lizzies Glas und gab es ihr zurück. »Verführerin«, bemerkte sie grinsend. »Ja, das stimmt. Aber letztes Wochenende ist mir schlagartig klar geworden, dass ich so nicht weitermachen kann. Ich bin keine Einkäuferin. Ich bin keine Stylistin. Ich bin Buchhalterin, und zwar eine verdammt gute. Die Grundidee des perfekten Kleiderschranks ist nicht schwer umzusetzen. Jeder kann einer Kundin sagen, dass sie keine zehn Paar schwarze Hosen braucht. Man muss nur Niccis Philosophie der zehn Basisteile folgen: Ihr wisst schon, grauer Pullover, dunkle schmale Jeans, schwarzes Sakko und so weiter … Aber die kreative Seite, die den Profit bringt – die Topteile einer Saison –, das war Niccis Ding. Ich habe nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, außer wenn ich Nicci darauf hinweisen musste, dass sie das Budget überzieht. Ihr Team bemüht sich nach Kräften, aber sie folgen nur Niccis Regeln, haben keine eigenen Visionen. Deshalb brauche ich jemanden, der genau das hat.«
»Hast du schon irgendwelche interessanten Bewerber?« Mona zupfte an dem Klebeband, das den Karton verschloss.
»Ja, das wollte ich euch ja erzählen. Wir werden förmlich überschwemmt. Sobald die Anzeige online ging, trudelten schon die ersten Bewerbungen ein. Das ist jetzt vier Tage her, und bisher sind es, ich weiß nicht, fünfzig, sechzig? Die meisten scheiden von vorneherein aus: unterqualifiziert, überqualifiziert, gar nicht qualifiziert – ihr wisst schon, Leute, die meinen, nur weil sie gerne shoppen gehen, sind sie die geborenen Einkäufer –, und dann gibt es Bewerber, die meinen Namen falsch schreiben.« Jo schüttelte den Kopf und tat, als würde sie ein Bewerbungsschreiben zerreißen. »Aber ich habe bereits sieben oder acht beiseitegelegt, die für ein Vorstellungsgespräch infrage kommen.«
»Klingt vielversprechend.« Irgendetwas an Monas Ton verriet, dass sie das keineswegs vielversprechend fand. »Fangen wir an, okay?« Sie wandte sich Lizzie zu. »Kannst du mal eine Schere besorgen?«
Lizzie hatte schon den Mund geöffnet, um Mona zu sagen, sie solle sich einen anderen Sklaven suchen, sich dann aber eines Besseren besonnen. Auf dem Weg durch den Flur blieb sie vor Harries und Charlies Zimmer stehen und lauschte an der einen Spaltbreit geöffneten Tür.
Stille.
Es konnte nicht schaden, mal nachzusehen.
Sie schob die Tür gerade weit genug auf, um hineinschlüpfen zu können. Die Kinder lagen jetzt in ihren Große-Mädchen-Betten, die links und rechts an den Seitenwänden des kleinen Zimmers standen. Ein bunter handgearbeiteter Flickenteppich lag auf dem weiß lasierten Dielenboden. An der Wand zwischen den Betten stand eine Kommode. Lizzie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Nicci die Kommode abgeschliffen, weiß gebeizt und anschließend mühsam mithilfe von Schablonen bemalt hatte. Auf der Front war ein bleicher Giftpilz zu sehen, der hellblau glühte und zwei kleine Köpfe anstrahlte. Lizzie merkte, wie sich ihr Herz zusammenzog. War Mummy in ihren Träumen bei ihnen? Verstanden sie, was ihr Leben derart aus den Fugen gebracht hatte? Und was würde geschehen, wenn Jo ihrem Mann von den Briefen erzählt hatte? Warum hatte Nicci Jo ausgewählt und nicht sie, Lizzie, um auf ihre kostbaren kleinen Mädchen aufzupassen? Der Gedanke war zu schmerzhaft, also schob Lizzie ihn beiseite.
Es zuckte ihr in der Hand, über die flaumigen Haare der Mädchen zu streichen, doch sie widerstand der Versuchung. Die beiden schliefen tief und fest, und Lizzie wusste natürlich, dass im Moment eher sie diejenige war, die etwas Zuwendung gebraucht hätte. Von der anderen Seite des Treppenabsatzes drang Monas tiefe dröhnende Stimme herüber.Warum ist Mona heute so krätzig?,
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