Die besten Freunde meines Lebens - Roman
habe dich noch nie ohne einen Drink in der Hand gesehen.«
»Kann sein.« Jo nahm einen Pfefferminzteebeutel aus dem Küchenschrank, wählte aus dem schmutzigen Geschirr im Spülbecken die am saubersten aussehende Tasse und spülte sie halbherzig mit heißem Wasser aus. Als sie damit fertig war, war der braune Ring am Tassenrand immer noch da. Angeekelt verzog sie das Gesicht, ehe sie den Teebeutel hineinwarf.
»Das ist genau der Punkt«, sagte Jo. »Wein war immer meine liebste Droge. Und seit Niccis Tod habe ich mehr davon getrunken, als mir guttut. Außerdem bin ich nicht mehr joggen gegangen, das war mein eigentliches Problem. Ich weiß nicht, was als Erstes kam: dass ich zu joggen aufgehört habe oder dass ich mich jeden Abend betrank. Immer, wenn ich die Laufschuhe hätte anziehen sollen, habe ich stattdessen nach der Flasche gegriffen. Als ich dann letzte Woche vor dem Kühlschrank stand, hat es mir plötzlich gedämmert. Ich war kaum durch die Tür, hatte noch meinen Mantel an und noch nicht einmal meine Tasche abgestellt, und schon wollte ich mir ein Glas einschenken. Das hat mich, ehrlich gesagt, ziemlich geängstigt.«
Lizzie blickte auf ihren Weißweinbauch hinab, den ihr weiter Pulli nur unzureichend verhüllte, und widerstand der Versuchung, an ihrem Jeansbund zu zupfen, um die Aufmerksamkeit ihrer Freundinnen nicht auf ihren Bauch zu lenken. Jo war nicht die Einzige, die neuerdings zu viel trank. Lizzie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal nach Hause gekommen war und nicht sofort zur Flasche gegriffen, sondern sich stattdessen einen Tee aufgebrüht hatte. Und das machte sich an ihrem Gewicht be merkbar. Wie auch die Schokokekse, die immer im Gefrier schrank bereitlagen. Eigentlich fror sie die Kekse ein, um sie ungenießbar zu machen, nur schmeckten sie dadurch leider noch besser. Und mit Sport hatte Lizzie noch nie viel am Hut gehabt. Das überließ sie Jo mit ihrem Joggen und Mona mit dem ganzen Yoga-Kram. Nicci wiederum war so dünn gewesen, dass sie sich mit so etwas gar nicht befassen musste. Bei Lizzie hieß es immer: alles oder nichts. Sie aß oder sie aß nicht, Punkt. Zurzeit aß sie. Und trank. Jo hatte recht. Das ging jetzt seit beinahe fünf Monaten so. Sie sollte besser auf die Bremse treten. Gleich nach diesem Glas.
Es war erst die dritte Kleiderschrankräumaktion, doch Jo hatte darin bereits eine gewisse Routine erlangt. Einmal im Monat kreuzten sie bei David auf, der dann mit irgendwelchen Arbeitskollegen ausging. Und sobald sie die Mädchen ins Bett gebracht hatten, machten sich die drei Frauen über Niccis riesigen Kleiderschrank her.
Beim letzten Mal hatten sie nur wenig Ausbeute gemacht. Einige T-Shirts von Vintage Smith und Stone Roses, die vielleicht für einen Sammler von Wert gewesen wären (hätte David sie nach seiner Rückkehr aus dem Pub nicht aus der Kiste genommen und in seinen Kleiderschrank geräumt), aber das war es dann auch. Die Kleidung und Accessoires dieses Abends waren zwischen »Verscherbeln« und »Spenden« aufgeteilt worden. Und als sie anschließend nach Hause gingen, hatten sie sich alle ein wenig betrogen gefühlt.
»Ach, das habe ich ganz vergessen«, rief Jo, während sie die Schranktüren öffnete und nach dem am nächsten stehenden Karton griff. Falls ihre Vermutung stimmte, dass der Schrankinhalt autobiografisch geordnet war, dann waren sie jetzt beim Jahr 1996, als Nicci ihre erste Praktikantenstelle als Einkäuferin in einem Kaufhaus erhalten hatte.
»Was vergessen?«
»Ich habe eine Stellenanzeige für einen Chefeinkäufer und Stylisten aufgegeben. Capsule Wardrobe kann sich nur eine Person leisten, die in beidem brillant ist.« So wie Nicci.
Mitfühlend sahen die beiden Frauen sie an. »Ach, Jo!«, sagte Lizzie und ging auf ihre Freundin zu. »Bist du okay?«
Jo zuckte die Achseln und beschäftigte sich angelegentlich damit, den Karton durch die Schranktüren nach draußen zu bugsieren. Falls Lizzie auffiel, dass Jo ihr betont den Rücken zuwandte, so sprach sie es nicht aus.
»Mir geht es gut«, sagte Jo. »Es musste einfach sein. Alle sind mir seit Monaten damit in den Ohren gelegen. Nun, zumindest Si. Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu akzeptieren. Also Nicci zu ersetzen …«
»Weiß David davon?«, fragte Mona.
»Selbstverständlich«, erwiderte Jo, verwundert darüber, wie schnell ihre Stimmung von Trauer in Ärger umschlagen konnte. »Er ist einer der Firmenpartner. Er hat das Recht, davon zu
Weitere Kostenlose Bücher