Die besten Freunde meines Lebens - Roman
Gesprächsfetzen, die er zufällig mitbekommen hatte, wenn Lizzie sich an Niccis Schulter ausweinte. Er selbst war immer taktvoll im Hintergrund geblieben und hatte Gerry mit viel Wein bei Laune gehalten. Aber er hatte in den letzten Monaten nicht mehr daran gedacht, hatte alles vergessen – alles, was nicht mit Charlie und Harrie zu tun hatte und dem Überleben von einem Tag zum anderen.
»Leider nicht so gut.« Lizzie trank einen Schluck Tee, hielt die Tasse einen Tick länger vor ihr Gesicht, als nötig gewesen wäre.
»Ehrlich gesagt«, fuhr Lizzie entschlossen fort, »geht es ihr richtig schlecht. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, führt unentwegt Selbstgespräche. Seit Monaten erkennt sie mich nicht einmal mehr. Wenn sie überhaupt mit mir spricht, bin ich für sie Kathleen.«
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie starrte grimmig ihre Tasse an, als könnte dies die Tränen stoppen.
»Wer ist Kathleen?«, fragte er.
»Eine Art Tante. Die Cousine meiner Mutter. Und das Schlimme daran ist …« Lizzie versuchte ein Lächeln, doch in ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit. »… Mum hat Kath leen überhaupt nicht gemocht. Als ich klein war, hatte sie kein gutes Wort für sie übrig. Und dadurch fühle ich mich … Ach, ich weiß nicht, wie ich mich fühle. Schuldig, wütend, voller Mitgefühl für sie, voller Selbstmitleid, hilflos. Aber vor allem löst es in mir den Wunsch aus …« Lizzie holte tief Luft. »… einfach wegzulaufen. An manchen Tagen würde ich am liebsten in irgendeinen Zug steigen und weit weg fahren.«
Sie rutschte verlegen auf dem Stuhl herum, den Blick auf die Hände gesenkt, als wollte sie die Sommersprossen darauf zählen.
»Das verstehe ich«, sagte David schließlich, da sie weiterhin beharrlich nach unten blickte. »Du solltest dir eine Pause gönnen. Ich meine, du tust, was du kannst, oder?«
Er entsann sich, dass Nicci oft über Lizzies »blöde Schwester« geschimpft hatte. Und das war der druckfähige Ausdruck. Er hatte Niccis Erzählungen über die Höhen und Tiefen im Leben ihrer Freundinnen immer gleichgültig an sich abprallen lassen. Das war inzwischen anders geworden.
Zaghaft blickte Lizzie zu ihm auf. Sein Ausdruck war freundlich, seine müden Augen voller Sorge.
»Mums Zustand wird sich nicht mehr verbessern.« Sie hielt inne, lauschte ihren eigenen Worten nach, als hörte sie das zum ersten Mal. Es war die Wahrheit. Ihrer Mutter würde es immer schlechter gehen. Unvermeidlich und unabänderlich.
Erneut sagte sie, diesmal jedes einzelne Wort betonend: »Mums. Zustand. Wird. Sich. Nicht. Verbessern.«
Abwartend sah er sie an.
»Man kann nichts tun. Der Arzt sagt, der Verfall werde immer schneller voranschreiten. Seit Monaten kann sie sich nicht mehr allein anziehen, erkennt mich nicht mehr. Inzwischen ist sie auch aggressiv und geht auf die Schwestern los. Hinterher erinnert sie sich nicht mehr daran. Aber es ist hart, verstehst du? Gut, Mum und ich, wir hatten auch schwierige Zeiten. Aber wer nicht?«
David lächelte leicht, unterbrach sie aber nicht.
»Als ich klein war, war Dad nicht oft zu Hause. Immer in der Arbeit oder in einem Zug, der klassische Pendler-Vater. Endlose Jahre in einem Job, den er hasste. Immer auf die Beförderung gewartet, die nie kam. Und so waren wir meist nur zu dritt: Mum, Karen und ich. Bis Karen von zu Hause auszog. Meistens hatte ich das Gefühl, Mum und Karen würden sich gegen mich verbünden. Die Erwachsenen gegen das Baby. Das Wunschkind gegen den Unfall. Und Mum konnte streng sein, sogar ungerecht. Aber nun ist Dad schon eine ganze Weile tot, und Mum ist so hilflos, und Karen lebt dreitausend Meilen entfernt von hier, und Mum weiß nicht einmal, wer ich bin. Das ist hart, verdammt hart.«
Atemlos schnappte Lizzie nach Luft. Sie war selbst überrascht über ihren Redeschwall.
Sie kannte David seit Jahren. Neben Nicci, Jo und Mona war er ihr ältester Freund, zumindest hatte sie das immer so gesehen. Jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihn im Grunde kaum kannte, nur durch Niccis Filter hindurch. Jedenfalls hatte sie noch nie so offen mit ihm geredet. Nicht einmal mit Gerry hatte sie jemals so geredet.
»O Gott, David.« Sie reichte ihm ihre leere Tasse und sah ihn zerknirscht an. »Entschuldige bitte. Erst breche ich in deinen Garten ein und verderbe dir deinen Sonntag. Und dann lade ich meinen Müll bei dir ab. Als hättest du nicht genügend eigene Probleme.«
»Schon okay.« David drückte flüchtig ihre Hand.
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