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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fort nach dem Messer langte.
    »Willst Du, Geliebte?« wiederholte Jacques.
    Sie schreckte zusammen, als sie die Lippen des jungen Mannes sich wieder fest an die ihrigen saugen fühlte, als wollte er auch diesmal ihr Geheimniß dort festsiegeln. Ohne ein Wort zu sprechen erhob sie sich, schnell entkleidete sie sich und schlüpfte unter die Bettdecke, ohne erst ihre auf der Diele liegen gebliebenen Kleider aufzuheben. Auch er rührte an nichts, auf dem Tisch blieb das Geschirr unordentlich stehen und das Lichtstümpfchen war nahe am Erlöschen, schon flackerte die Flamme ersterbend auf. Als er entkleidet sich zu ihr legte, umschlangen ihn ihre Arme sofort und in leidenschaftlicher Hingabe verging ihnen fast der Athem. Kein leiser Schrei, kein Geräusch durchtönte das Zimmer, während unten die Musik von neuem anhob, aber man fühlte durch die todte Luft des Zimmers das gewaltige Erzittern, den heißen Athem zweier einander völlig begehrender Menschen dringen.
    Jacques erkannte in Séverine schon längst nicht mehr die sanfte, geduldige Frau des ersten Stelldicheins mit ihren feuchtblauen Augen wieder. Von Tag zu Tag schien unter dem düsteren Schmuck ihrer schwarzen Haare ihre Leidenschaftlichkeit gewachsen zu sein. Er hatte sie nach und nach in seinen Armen aus dieser langen, kalten Jungfräulichkeit erwachen gesehen, aus welcher sie weder die greisenhaften Neigungen des alten Grandmorin, noch die eheliche Brutalität des Gatten hatten locken können. Das einst so gefügige Geschöpf der Liebe liebte jetzt, es gab sich jetzt ohne jeden Rückhalt hin und bewahrte sich eine brennende Erkenntlichkeit für das ihr bereitete Vergnügen. Jetzt wohnte in ihr eine leidenschaftliche Neigung, eine Anbetung dieses Mannes, der ihre Sinnlichkeit geweckt hatte. Ihn endlich ohne Zwang ganz für sich zu haben, von seinen Armen umschlossen zu sein, und ihren Mund an seinen Mund heften zu können, daß nicht ein Seufzer ausder Kehle dringen konnte, das war der Gipfelpunkt ihres Glückes.
    Als sie wieder die Augen öffneten, staunte er.
    »Du, das Licht ist aus.«
    Sie machte eine leise Bewegung, die bedeuten sollte, daß sie sich wenig daraus mache. Dann fragte er mit unterdrücktem Lachen:
    »Nun, war ich vernünftig?«
    »Ja, Niemand hat uns gehört … Genau wie zwei Mäuschen.«
    Als sie sich bequem nebeneinander ausgestreckt hatten, legte sie sofort ihre Arme um seinen Nacken, sie schmiegte sich dicht an ihn an und bettete ihr Näschen an seinen Hals.
    »Mein Gott, wie schön ist das!« seufzte sie so recht von Herzen.
    Sie sagten zunächst nichts mehr, das Zimmer war wieder dunkel, man unterschied kaum die beiden bleichen Quadrate der Fenster; an der Decke spiegelte sich nur ein Strahl des Feuers im Ofen, ein runder, blutrother Fleck, wieder. Sie betrachteten ihn mit weitgeöffneten Augen. Die Musik war verstummt, man hörte Thüren klappen, dann versank das ganze Haus in einen dumpfen, friedlichen Schlummer. Der Zug von Cannes war soeben angekommen, man hörte das Zusammenschlagen der Puffer nur wie aus weiter Ferne herauftönen.
    Wie sie Jacques so bei sich fühlte, entbrannte ihr Verlangen von Neuem, und mit dem Verlangen die Begier eines Geständnisses. Seit Wochen schon quälte sie sich damit ab! Der runde Fleck an der Decke wurde größer und glich immer mehr einem blutigen Male. Während ihre Augen ihn betrachteten, nahmen in ihrer Einbildung die Dinge um sie her Stimme an und erzählten ganz laut ihre Geschichte. Sie fühlte die Worte sich auf ihre Lippen drängen und eine nervöse Woge ihre Haut durchrieseln. Wie schön würde es sein, kein Geheimniß mehr vor ihm zu haben, ganz in ihn aufzugehen!
    »Du weißt noch nicht, Geliebter …«
    Auch Jacques’ Augen hafteten an dem blutigen Male. Er verstand sie recht gut. Er fühlte in diesem, so eng an den seinen geschmiegten, zarten Körper das Steigen der Fluthdieses dunklen, ungeheuren Etwas, an das sie Beide dachten, ohne je davon zu sprechen. Bis jetzt hatte er sie am Reden verhindert, er fürchtete sich vor dem ihn warnenden Schauer von ehedem und daß ihr bisheriges Leben eine andere Gestaltung annehmen würde, wenn zwischen ihnen von Blut die Rede sein würde. Aber diesmal fühlte er nicht mehr die Kraft, ihren Kopf zurückzubiegen und ihre Lippen mit einem Kuß zu verschließen. In diesem warmen Bett, in ihren weichen Frauenarmen überkam ihn eine entzückende Mattigkeit. Er glaubte schon, daß sie jetzt Alles sagen würde. Er fühlte sich daher wie erleichtert

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