Die Bestie im Menschen
Pecqueux mit gutmüthigem Lächeln. »Das Bett ist gut und so groß, daß man zu vieren darin schlafen könnte.«
Jacques Augen sprachen eine so beredte Bitte, daß sie den Schlüssel nahm. Er beugte sich dabei zu ihr herunter und flüsterte ganz leise:
»Erwarte mich.«
Séverine brauchte nur ein Stückchen die Rue d’Amsterdam hinaufzugehen und in die Sackgasse einzubiegen. Der Schnee war so glatt gefroren, daß sie mit äußerster Vorsicht gehen mußte. Sie fand die Hausthür noch offen, sie stieg, ohne vom Portier gesehen zu sein, der mit einer Nachbarin in eine Partie Domino vertieft war, die Treppe hinauf. Im vierten Stock angelangt öffnete sie die Thür und schloß sie wieder so leise, daß kein Nachbar ihre Anwesenheit hätte ahnen können. Als sie die Treppe des dritten Stockwerkes passirte, vernahm sie deutlich Lachen und Singen bei den Fräulein Dauvergnet, wahrscheinlich hatten diese ihren musikalischen Abend, was einmal in der Woche vorkam. Als Séverine die Thür hinter sich geschlossen hatte, schallte in der tiefen Dunkelheit durch die Dielen noch immer die lebhafte Heiterkeit dieser Jugend zu ihr herauf. Einen Augenblick erschien ihr die Finsterniß undurchdringlich und sie fuhr zusammen, als mitten im Dunkel der Kuckuk mit einem Male mit schnarrender ihr so gut bekannter Stimme elf Uhr zu rufen anhob. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Finsterniß, die beiden Fenster hoben sich wie zwei fahle Quadrate aus derselben ab und an der Decke spiegelte sich der Wiederschein des Schnees wieder. Jetzt orientirte sie sich schnell, sie erinnerte sich in einer Ecke des Büffets ein Packet Zündhölzer bemerkt zu haben und sie fand sie wirklich noch an derselben Stelle vor. Mehr Mühe machte es ihr ein Licht zu finden, endlich entdeckte sie eins in einer Schublade. Sie entzündete es und das Gemach war erleuchtet. Sie ließ ihren besorgten, unruhigen Blick in alle Ecken schweifen, um sich zu vergewissern, daß sie allein sei. Sie erkannte jeden einzelnen Gegenstand wieder, den runden Tisch, an welchem sie mit ihrem Manne gefrühstückt, das roth überzogene Bett,auf dessen Rand er sie mit einem Faustschlag hingestreckt hatte. Nichts hatte sich in den zehn Monaten, seit sie das Zimmer nicht mehr betreten, verändert.
Langsam nahm Séverine ihren Hut ab. Doch als sie auch ihren Mantel ablegen wollte, fröstelte es sie. Es war kalt in dem Zimmer. In der kleinen Kiste neben dem Ofen war noch Kohle und klein gemachtes Holz vorhanden. Ohne sich zu entkleiden setzte sie sich hin, um Feuer anzumachen. Damit hatte sie eine Unterhaltung gefunden und eine Ablenkung des zuerst gefühlten üblen Empfindens. Diese häusliche Verrichtung für eine bevorstehende Liebesnacht, der Gedanke, wie warm sie Beide es haben würden, gab ihr die Freude an ihrer Eskapade zurück: wie lange hatten sie nicht schon von einer solchen Nacht geträumt, ohne Hoffnung, sie je zu genießen! Als das Feuer im Ofen brannte, beschäftigte sie sich mit andern Vorbereitungen, sie stellte die Stühle nach ihrem Geschmack, sie fand weiße Bezüge und überzog das Bett vollständig, das ihr übrigens nicht gefiel, weil es in der That sehr breit war. Dagegen verdroß es sie, in dem Büffet nichts Genießbares vorzufinden: in den drei Tagen, seitdem Pecqeux hier allein wirthschaftete, hatte er zweifellos alles bis auf den letzten Bissen vertilgt. So war es auch mit dem Licht, es war nur dieses Stümpfchen vorhanden; doch wenn man schlafen geht, braucht man nichts zu sehen, Sie fühlte sich jetzt wieder erwärmt und aufgeräumt. Mitten im Zimmer stand sie jetzt, um zu sehen, ob irgendwo noch etwas fehlte.
Sie wunderte sich mit einem Male, daß Jacques noch nicht da war. Das Pfeifen einer Locomotive lockte sie an das Fenster. Der directe Zug nach Havre um elf Uhr zwanzig Minuten ging soeben ab. Die riesige Bahnhofsanlage, die Furche, welche vom Bahnhof bis zum Tunnel von Les Batignolles reicht, bildete ein einziges Schneefeld, in welchem man nur die Glieder des Schienenfächers unterschied. Die Locomotiven und Reservewaggons sahen wie weiße, unter einem Hermelinmantel schlummernde kleine Berge aus. Und zwischen den unbefleckten Glasdächern der großen Hallen und gegenüber dem von weißen Spitzen umsäumten Gliederwerk des Pont de l’Europe sah man trotz des nächtlichen Dunkels die Häuser der Rue de Rome sich schmutzig gelb aus diesem weißenabheben. Der directe Zug nach Havre glitt jetzt schwarz aus der Halle hervor, sein großes
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