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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte mit seiner mordsmäßigen Kälte ihr Herz gepackt, wie wenn junge, kräftige Frauen, die leicht angezogen ausgehen, des Abends bei eisigkaltem Regen heimkehren.
    Abermals pfiff Jacques, nachdem Pecqueux die Ableitungsröhren geöffnet hatte. Die beiden Schaffner standen auf ihrem Posten. Misard, Ozil und Cabuche bestiegen das Trittbrett des Gepäckwagens. Sanft glitt der Zug aus der Schlucht zwischen den Soldaten hindurch, die sich mit ihren Schaufeln links und rechts an der Böschung aufgestellt hatten. Dann hielt er vor dem Bahnwärterhäuschen, um die Passagiere aufzunehmen.
    Flore stand an der Thür. Ozil und Cabuche traten zu ihr. Misard aber war eifrig dabei, die blanken Geldstücke von den aus seinem Hause tretenden Damen und Herren einzusammeln. Endlich winkte die Befreiung! Aber man hatte zu lange warten müssen und litt furchtbar durch die Kälte, den Hunger und die Erschöpfung. Die Engländerin trug beinahe ihre beiden, halb schlafenden Töchter, der junge Mann aus Havre stieg in das Koupee der hübschen brünetten Frau, die vollständig hin war, und stellte sich dem Gatten zur Verfügung. Man hätte meinen können, man wohne der Einschiffung einer versprengten, auf der Flucht sich drängenden und vorwärts hastenden Truppe im Kothe des zerstampften Schnees bei, die Alles verloren habe, selbst das Gefühl für Eigenheit. Hinter ihrem Kammerfenster erschien auf einen Augenblick Tante Phasie, die Neugier hatte sie aus ihrem Bett und bis dahin getrieben; auch sie wollte das mitansehen.Ihre großen ausgeblaßten Augen einer Kranken starrten auf diese fremden Menschen, diese Passanten der Welt auf Rädern, die sie nie wiedersehen sollte, denn vom Sturmwind wurden sie herbeigeführt und mit dem Sturmwind zogen sie von dannen.
    Séverine trat als die letzte aus dem Hause. Sie wandte den Kopf und lächelte Jacques zu, der sich weit vorbeugte, um ihr bis zu ihrem Koupee folgen zu können. Flore hatte auf sie gewartet und kochte jetzt vor Wuth über diesen ruhigen Austausch ihrer Liebesgefühle. Hastig rückte sie Ozil näher, den sie bisher stets von sich gewiesen hatte, als bedürfte sie jetzt in ihrem Hasse eines Mannes.
    Der Zugführer gab das Zeichen, die Lison antwortete mit einem kreischenden Pfiff und Jacques fuhr davon, diesmal ohne Aufenthalt bis Rouen. Es war gerade sechs Uhr, die Dunkelheit sank vollends vom schwarzen Himmel auf die weiße Landschaft hernieder, aber ein bleicher, unendlich trostloser Schimmer blieb über der Erde lagern und erhellte die fürchterliche Oede dieses unwirthlichen Geländes. Und in diesem fahlen Lichte machte das Landhaus von la Croix-de-Maufras als einziger schwarzer Punkt in all diesem Schnee mit seiner Aufschrift: »Zu verkaufen!« und seiner geschlossenen Fassade einen noch wüsteren Eindruck als je zuvor.
     

Achtes Kapitel
    Erst um zehn Uhr vierzig Minuten Nachts traf der Zug im Pariser Bahnhof ein. In Rouen mußte ein Aufenthalt von zwanzig Minuten genommen werden, damit die Reisenden speisen konnten. Séverine hatte sofort ihrem Manne depeschirt, daß sie erst in der folgenden Nacht mit dem Eilzuge wieder einträfe. Sie hatte also eine ganze Nacht für sich. Zum ersten Male geschah es, daß sie die Nacht zusammen in einem verschlossenen Zimmer, ohne Furcht gestört zu werden, verbringen konnten.
    Als man gerade Mantes verlassen wollte, kam Pecqueux ein guter Gedanke. Seit acht Tagen schon befand sich seine Frau, die Mutter Victoire, im Krankenhause; in Folge eines Falles hatte sie eine bedenkliche Quetschung am Fuße erlitten. Er hätte ein anderes Bett in der Stadt, in welchem er schlafen könnte, sagte er lachend zu Jacques und böte deshalb Frau Roubaud das seinige an: dort würde sie besser aufgehoben sein als in einem Hotel in der Nachbarschaft und könnte bis zum nächsten Abend bleiben wie wenn sie zu Hause wäre. Jacques hatte sofort dieses glückliche Arrangement eingeleuchtet, denn er hatte sich schon bisher vergebens den Kopf zerbrochen, wohin er die junge Frau führen sollte. Als sie sich in der Halle inmitten des Stromes der übrigen Reisenden der Locomotive näherte, rieth er, das Anerbieten anzunehmen und reichte ihr den ihm vom Heizer eingehändigten Schlüssel. Doch sie zögerte und weigerte sich, sie genirte das spitzbübische Lächeln des Heizers, der jedenfalls von allem wußte.»Nein, nein, ich habe hier eine Cousine. Sie wird wohl eine Matratze für mich übrig haben.«
    »Nehmen Sie doch mein Anerbieten an,« meinte schließlich

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