Die Bestie im Menschen
durch ihre ängstliche Erwartung, als sie verwirrt zögern zu wollen schien, und schließlich sagte:
»Du weißt noch nicht, Geliebter, mein Gatte ist fest überzeugt, daß ich heute Nacht bei Dir bin.«
Ohne daß sie es gewollt, kam ihr die Erinnerung an die letzte Nacht in Havre anstatt ihres Geständnisses über die Lippen.
»Meinst Du?« fragte er ungläubig. »Er benimmt sich so nett gegen mich. Er hat mir noch heute früh die Hand gereicht.«
»Ich versichere Dich, er weiß Alles; er muß es sich selbst sagen, daß mir in diesem Augenblick zusammen sind. Ich habe Beweise!«
Sie schwieg und zog ihn dichter an sich. In die Freude an seinem Besitz mischte sich das Gefühl der Erbitterung.
»O, ich hasse ihn, ich hasse ihn.«
Jacques war betroffen. Er war Roubaud in keiner Weise böse. Er fand ihn sehr annehmbar.
»Warum?« fragte er. »Er stört uns kaum.«
Sie gab darauf keine Antwort, sondern wiederholte:
»Ich hasse … Es ist eine Qual, ihn jetzt noch an meiner Seite zu fühlen. O, wenn ich könnte, ich wollte mich schon frei machen, um für immer bei Dir zu bleiben!«
Gerührt von dieser glühenden Zuneigung, zog er sie noch weiter zu sich herauf, so daß sie fast mit ihrem ganzen Körper an seinem Halse lag. Und abermals, fast ohne die Lippen von seinem Halse zu lösen, flüsterte sie sanft:
»Du weißt ja nicht, Geliebter …«
Da war das Geständniß, unvermeidlich kam es wieder.Diesmal war es ihm klar, daß nichts in der Welt es aufhalten konnte. Man hörte keinen Hauch mehr in dem großen Hause, selbst die Zeitungsverkäuferin schien schon fest zu schlafen. Draußen in dem eingeschneiten, in Schweigen versunkenen Paris vernahm man kein Geräusch von Wagen; der um Mitternacht abgegangene letzte Zug nach Havre schien alles Leben mit sich entführt zu haben. Der Ofen pustete nicht mehr, das Feuer verzehrte sich unter der Asche, aber der rothe Fleck an der Decke lebte noch und glich einem schreckensvoll starrenden Auge. Es war so heiß im Zimmer, daß ein erstickender Nebel über dem Bett zu lagern schien, in welchem sie ohnmächtig ihre Glieder mengten.
»Du weißt ja nicht, Geliebter …«
»Ja, ja, ich weiß,« drängten sich auch ihm unwiderstehlich die Worte auf.
»Nein, Du ahnst vielleicht, aber Du kannst nicht Alles wissen.«
»Er hat es der Erbschaft halber gethan.«
Ein leises, nervöses Lachen entschlüpfte ihr unfreiwillig.
»Ja wohl, schön der Erbschaft wegen!«
Und ganz, ganz leise, so leise, daß ein an den Fenstern hinauf schwirrendes Insect der Nacht ein größeres Geräusch gemacht haben würde, erzählte sie von ihrer Kindheit beim Präsidenten Grandmorin; erst wollte sie lügen und ihm ihre Beziehungen zu jenem verschweigen, dann aber wich sie dem Zwange des offenen Bekenntnisses und sie suchte eine Erleichterung, fast ein Vergnügen darin, ihm alles zu sagen. Ihr Geflüster strömte nun ohne Unterbrechung dahin.
»Hier, in diesem Zimmer, war es, im vergangenen Februar, als er, wie Du Dich erinnern wirst, eines Vorfalles mit einem Unterpräfecten wegen in Paris war … Wir hatten an jenem Tische heiter gefrühstückt, so wie wir vorhin dort zur Nacht aßen. Natürlich wußte er von nichts, denn ich hatte ihn nie soweit in mein Vertrauen gezogen … Es kam die Rede auf einen kleinen Ring, ein Geschenk des Präsidenten ohne jeden weiteren Werth, und, ich weiß nicht wie es geschah, bei dieser Gelegenheit erfuhr er Alles … O, mein Schatz, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie er mich behandelt hat!«
Es fröstelte sie, er fühlte ihre kleinen Hände sich an seinem nackten Körper falten.»Ein Schlag mit der Faust streckte mich zu Boden … Dann zerrte er mich an den Haaren durch die Stube … Er hob seinen Absatz, als wollte er mir das Gesicht zertreten … So lange ich lebe wird mir die Erinnerung an diesen Auftritt nicht entschwinden … Und dann mein Gott, schlug er mich abermals. Ich kann Dir nicht Alles wiederholen, was er mich fragte, bis er mich so weit hatte. Alles zu sagen! Du siehst, ich bin sehr offen, denn ich erzähle Dir Dinge, die ich Dir garnicht zu erzählen brauchte. Und trotzdem würde ich es nie wagen, Dir jene schmutzigen Fragen zu wiederholen, auf die ich antworten mußte, wollte ich mich nicht der Gefahr aussetzen, von ihm erwürgt zu werden. Er liebte mich, darüber war kein Zweifel, und sein Kummer muß ein gewaltiger gewesen sein, als er das vernahm. Ich gebe auch zu, daß ich ehrlicher gehandelt hätte, wenn ich ihm dies Alles vor der Hochzeit
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