Die Bestie im Menschen
gesagt haben würde. Doch alles das war ja verjährt, vergessen. Nur ein Wilder kann so toll vor Eifersucht sein wie er … Wirst Du, nun Du alles das weißt, mich jetzt weniger lieben als früher, Schatz?«
Jacques hatte sich nicht gerührt, träge und nachdenklich lag er in den Armen dieser Frau, die er um seinen Hals, um seine Glieder sich ranken fühlte, wie die Leiber von lebendigen Nattern. Er war höchst überrascht, denn nie war ihm der Gedanke an eine solche Geschichte gekommen. Wie sich Alles zuspitzte, während doch das Testament allein schon genügt hätte, die Dinge zu erklären. Uebrigens gefiel ihm der Zusammenhang so besser, die Ueberzeugung, daß das Ehepaar nicht des Geldes wegen gemordet hatte, befreite ihn von dem verächtlichen Gefühl, mit welchem sein Gewissen sich selbst unter den Küssen Séverine’s beschwert gefühlt hatte.
»Warum sollte ich Dich nicht mehr lieben? … Was geht mich Deine Vergangenheit an? … Du bist die Frau von Roubaud, Du hättest eben so gut die eines Anderen sein können.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Beide umarmten sich, daß ihnen der Athem ausging und er fühlte ihren runden, festen, geschwollenen Busen jetzt an seiner Brust.
»Du bist also die Geliebte jenes Alten gewesen. Wie komisch!«
Sie zog sich bis zu seinem Mund empor und sagte unter einem Kusse:»Ich liebe nur Dich, ich habe nie einen Anderen als Dich geliebt … Geh’ mir mit den Anderen! Ich habe bei ihnen nie empfinden gelernt, was Liebe ist, während Du mich so glücklich machst, Geliebter!«
Ihre sich ihm anbietenden, fortdauernden Schmeicheleien, ihr Tasten nach ihm mit ihren zitternden Händen entflammte auch seine Sinne. Und trotzdem hielt er sie noch von sich ab.
»Nein, nein, warte noch ein wenig … Und diesen Greis also? …«
Fast lautlos, unter dem Erzittern ihres ganzen Seins hauchte sie:
»Ja, wir haben ihn getödtet!«
Der Schauer des Verlangens erstarb in dem in ihr erwachten Schauer des Todes. Es war, als entstände der Todeskampf noch einmal inmitten ihres sinnlichen Verlangens. Einen Augenblick lag sie wie von einem Schwindel befallen leblos da. Dann drückte sie abermals ihre Nase an den Hals des Geliebten und mehr hauchend als sprechend erzählte sie:
»Er ließ mich schreiben, damit der Präsident denselben Zug nähme wie wir, nicht dasselbe Koupee … Ich zitterte in meiner Ecke aus Angst vor dem Unglück, in das zu rennen wir im Begriff standen. Mir gegenüber saß eine ganz in Schwarz gekleidete Frau; sie sagte nichts, aber ich fürchtete mich vor ihr. Ich sah sie nicht einmal, aber ich bildete mir ein, daß sie klar in meinen Gedanken las, daß sie sehr wohl wußte, was wir vorhatten … So vergingen die zwei Stunden von Paris bis Rouen. Ich sagte kein Wort, ich bewegte mich kaum, ich schloß die Augen, um den Anschein zu erwecken, als ob ich schliefe. Neben mir fühlte ich ihn, auch er bewegte sich nicht. Mich erschreckte, daß ich die fürchterlichen Dinge voraussah, die er in seinem Kopfe umherwälzte, ohne daß ich genau errathen konnte, wohin sein Entschluß zielte … O, welche Fahrt, welche Fluth von Gedanken im Kopf inmitten des Gepfeifes, der Erschütterungen und des Dröhnens der Räder!«
Jacques hatte seinen Mund dem Dickicht der duftenden Haare genähert, er bedeckte sie in regelmäßigen Pausen mit langen unbewußten Küssen.»Wenn Ihr nicht in demselben Koupee saßet, wie habt Ihr ihn da ermorden können?«
»Warte, Du wirst gleich den Plan meines Mannes verstehen. Daß er glückte, ist wohl nur dem Zufall zu danken … In Rouen gab es zehn Minuten Aufenthalt. Wir stiegen aus, er zwang mich, bis zum Koupee des Präsidenten zu gehen, wie Leute, die sich die Beine vertreten wollten. Dort heuchelte er Überraschung, als er plötzlich den Präsidenten in der Koupeethür stehen sah, als wenn er nicht gewußt hätte, daß jener denselben Zug benutzte. Auf dem Perron stieß und drängte man sich. Eine Menge Menschen eroberte im Sturm die Koupees zweiter Klasse, weil am folgenden Tag in Havre ein Fest gefeiert werden sollte. Als man die Thüren zu schließen begann, nöthigte der Präsident selbst uns in sein Koupee. Ich weigerte mich und sprach von unserm Gepäck, doch er beruhigte mich, er meinte, man würde es uns gewiß nicht stehlen; in Barentin könnten wir ja in unser Koupee zurückkehren, da er doch dort ausstiege. Eine Sekunde schien mein Gatte besorgt nach unserm Koupee laufen zu wollen, um es zu holen. In diesem Augenblick pfiff der
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