Die Bestie im Menschen
öffnete die Thür und enteilte wie kopflos.
Es war acht Uhr, als Jacques auf den Bürgersteig der Rue d’Amsterdam trat. Der Schnee war noch nicht fortgeschafft, man hörte kaum die Schritte der wenigen Passanten. Sogleich hatte er eine alte Frau bemerkt, sie ging der Rue de Londres zu, er folgte ihr nicht. Männer stießen ihn beim Vorübergehen an, er ging deshalb in der Richtung der Place du Havre und faßte fest das Messer, dessen nach oben gerichtete Spitze im Aermel verschwand. Als ein kleines Mädchen von ungefähr vierzehn Jahren aus einem Hause gegenüber trat, ging er über den Damm. Als er hinkam, sah er sie in einen Bäckerladen gehen. Seine Ungeduld war so groß, daß er nicht warten wollte, sondern weiter schritt. Seit er das Zimmer mit dem Messer in der Hand verlassen hatte, war er nicht mehr die handelnde Person, sondern jener Andere, den er so oft in seinem Innern sich bewegen gefühlt hatte, jenen von fernher gekommenen Unbekannten, der den erblichen Durst nach Mord löschen wollte. Dieser hatte ehedem getödtet, er wollte noch immer tödten. Die Dinge um Jacques erschienen, wie im Traume, denn er sah sie nur durch seinefixe Idee. Sein tägliches Leben war wie versunken, er schritt wie ein Nachtwandler dahin, ohne Erinnerung an die Vergangenheit, ohne Gedanken an die Zukunft, lediglich unter dem Zwange seines Verlangens. Sein Körper bewegte sich, aber die Seele war entschwunden. Zwei Frauen streiften ihn beim Vorübergehen, er folgte ihnen schnell, doch Jene trafen in diesem Augenblick einen bekannten Mann. Alle Drei schwatzten und lachten. Der Mann genirte ihn, er folgte deshalb einer andern, vorübergehenden Frau, einer schwarzhaarigen, blassen Person, die ihre Abgehärmtheit schlecht unter einem dünnen Umschlagetuch verbarg. Sie ging mit langsamen Schritten, wahrscheinlich einer verhaßten, harten und schlecht bezahlten Arbeit entgegen, ihr Gesicht drückte hoffnungslose Verzweiflung aus. Jetzt, nun er eine einzelne vor sich hatte, beeilte er sich nicht mehr, er wartete nur noch die günstigste Gelegenheit ab, um zuzustoßen. Sie hatte zweifellos den sie verfolgenden Menschen bemerkt, denn sie drehte sich nach ihm um und ihre von unsäglichen Wunden erzählenden Augen schienen ihn zu fragen, was er eigentlich von ihr wolle. Sie waren schon die halbe Straße heruntergegangen; zweimal noch drehte sie sich zurück und hinderte ihn jedesmal, ihr das Messer in den Nacken zu stoßen, das bereits aus dem Aermel hervorlugte. Ihre Augen sprachen eine so beredte Sprache des Elends! Dort unten, wenn sie den Bürgersteig verlassen mußte, wollte er sie niederstechen. Aber plötzlich machte er eine Wendung und folgte einer andern Frau, die in der entgegengesetzten Richtung ging. Er that es ohne Ueberlegung, ohne eigenen Willen, nur weil sie zufällig in diesem Augenblick ihn streifte. Es war eben nicht anders.
Jacques gelangte hinter dieser wieder zum Bahnhof. Diese machte lebhafte feste Schritte, sie war auffallend hübsch, höchstens zwanzig Jahre alt, etwas stark, blond und hatte schöne Augen, die heiter in die Welt hineinlachten. Sie bemerkte nicht einmal, daß Jemand sie verfolgte. Sie mußte es eilig haben, denn sie hüpfte behende die Freitreppe hinauf, durcheilte das große Vestibül und drängte sich an den Schalter für den Ringbahnverkehr. Als sie ein Billet erster Klasse nach Auteuil nahm, that Jacques das gleiche, er folgte ihr durch die Wartesäle auf den Perron bis in das Koupee, wo er sich an ihre Seite setzte. Gleich darauf fuhr der Zug ab.»Ich habe Zeit,« sagte er zu sich, »ich werde sie im Tunnel tödten.«
Ihnen gegenüber saß eine alte Dame, die drei waren nur allein im Koupee. Diese Dame erkannte die junge Frau.
»Sie sind es? Wohin fahren Sie schon in aller Frühe?«
Die Andere lachte hell auf mit einer komisch verzweifelnden Geberde.
»Da sage man noch, daß man nichts thun kann, ohne Jemandem zu begegnen. Ich hoffe aber, Sie werden mich nicht gleich verrathen … Mein Mann hat morgen Geburtstag. Sobald er fort war, ging auch ich. Ich will nach Auteuil zu einem Gärtner; dort hat er eine Orchidee gesehen, nach der er wie toll ist … Ich will ihn damit überraschen.«
Die Dame nickte wohlwollend mit dem Kopf.
»Und wie geht es dem Kinde?«
»Die Kleine wird immer netter … Vor acht Tagen habe ich sie erst entwöhnt, nun müßten Sie sie Suppe essen sehen … Es ist skandalös, wie gut es uns Allen geht.«
Sie lachte noch herzlicher und dabei traten zwischen den
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