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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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für Gewaltthätigkeiten.
    »Nein, Herr Dabadie hat die Sache bereits in die Hand genommen, es ist besser zu warten, bis sich Alles von selbst macht.«
    »Noch ehe der Monat herum ist,« erklärte Séverine, »schlafe ich in ihrem Zimmer und wir können uns dort zu jeder Zeit sehen.«
    Trotz der Dunkelheit fühlte Philomène, wie jene bei dieser Hoffnung den Arm des Geliebten zärtlich preßte. Sie ließ sie allein, um in ihr Haus zurückzukehren. Aber als sie dreißig Schritt weit gegangen war, blieb sie, von der Dunkelheit begünstigt, stehen. Das Zusammensein der Beiden regte sie furchtbar auf. Sie fühlte keine Eifersucht, aber ohne es zu wissen das Bedürfniß, ebenso zu lieben und geliebt zu werden.
    Jacques’ Gemüth verdüsterte sich von Tag zu Tag; zweimal schon hatte er einen Vorwand erfunden, um Séverine nicht zu treffen; daß er jetzt häufiger bei den Sauvagnat verweilte, war auch ein Grund, um ihr aus dem Wege zu gehen. Trotzdem liebte er sie noch immer, ja sein Verlangen nach ihr war ein so glühendes, daß es kaum noch übertroffen werden konnte. Aber in ihren Armen überkam ihn wieder sein altes Uebel und dieser fürchterliche Schwindel machte sein Blut erstarren; schnell und ängstlich mußte er sie wieder verlassen, fühlte er doch die Bestie zum Beißen bereit. Er versuchte durch weite Spaziergänge sich müde zu machen, er versah Aushülfedienste, er verbrachte zwölf volle Stunden mitdurchrütteltem Körper und von dem Winde ausgedörrten Lungen auf seiner Locomotive. Seine Kameraden schalten auf diesen harten Beruf eines Locomotivführers, der, wie sie sich ausdrückten, nach zwanzig Jahren einen Menschen mit Haut und Haaren aufgefressen hatte. Ihm wäre es am liebsten gewesen, gleich gefressen zu werden; er konnte nicht genug müde werden und fühlte sich nur glücklich, wenn ihn die Lison davontrug, er an nichts weiter zu denken und nur die Signale zu sehen brauchte. Kam er in der Endstation an, dann war er so todtmüde, daß er sich nicht einmal mehr zum Rasiren die Zeit nahm. Aber beim Erwachen kam ihm derselbe quälende Gedanke wieder. Er hatte sich auch wieder für seine Lison zu erwärmen versucht, er konnte stundenlang an ihr herumputzen und verlangte von Pecqueux, daß die Achsen wie flüssiges Silber glänzten. Die Inspectoren, die unterwegs zu ihm stiegen, beglückwünschten ihn. Er aber schüttelte den Kopf und blieb unzufrieden, denn er wußte sehr wohl, daß die Locomotive seit jenem Feststecken im Schnee nicht mehr so rührig und ausdauernd wie früher war. Bei der Ausbesserung der Kammern und Schäfte war ihr zweifellos ein Theil ihrer Seele, jenes geheimnißvollen, lebensähnlichen Gleichgewichts abhanden gekommen, das der Zufall in die Montirung webt. Jacques litt schmerzlich unter diesem Verfall der Lison, er brachte bei seinen Vorgesetzten ganz unvernünftige Beschuldigungen gegen sie vor, er verlangte ganz unnütze Ausbesserungen und klügelte gern unpraktische Verbesserungen aus. Da man sie ihm abschlug, wurde er nur noch verbitterter. Er war überzeugt, daß die Lison krankte und man in Zukunft keinen Staat mehr mit ihr machen konnte. Seiner Zärtlichkeit sank der Muth: wozu noch Jemand lieb haben, wenn er doch alles, was er liebte, tödten mußte? Und er übertrug auf seine Geliebte diese Erbitterung verzweifelter Liebe, die kein Leiden und keine Ueberanstrengung heilen konnte.
    Séverine fühlte sehr wohl, daß Jacques wie ausgewechselt war. Diese Thatsache berührte sie sehr schmerzlich, denn sie mußte annehmen, daß er ihr böse war, seit er alles wußte. Wenn sie ihn an ihrem Halse zittern fühlte und er vor ihrem Kuß jäh zurückwich, so geschah es nach ihrer Meinung, weil er sich plötzlich an alles erinnerte und sie ihm Entsetzeneinflößte. Sie hätte es deshalb nimmermehr gewagt, das Gespräch auf diese Dinge zurück zu leiten. Sie bereute es, gesprochen zu haben, daß das Verlangen nach ihrem Geständniß unvermuthet über sie gekommen war, in jenem fremden Bett, in welchem sie Beide für einander erglühten; sie erinnerte sich nicht einmal mehr daran, daß das Bedürfniß nach diesem Geständniß sie von jeher gequält hatte, sie wußte nur, daß sie sehr zufrieden darüber gewesen war, kein Geheimniß mehr vor ihm zu haben. Und sie liebte und begehrte ihn mehr als je, seitdem er alles kannte. Ihre Leidenschaft war unersättlich, das Weib war endlich in ihr erwacht, einem Geschöpf, das nur zum Lieben geschaffen schien und doch noch nicht Mutter war. Sie

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