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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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lebte nur durch Jacques und machte aus ihrem Begehr, ganz in ihn aufzugehen, kein Hehl; es war ihr einziger Traum, ein Theil von seinem Fleische zu sein. Sie war so sanft und duldsam wie früher und hätte es am liebsten gesehen, daß sie vom Morgen bis Abend wie eine Katze in seinem Schoß schlummerte. Heute erstaunte sie darüber, daß sie hatte theilnehmen können an jenem fürchterlichen Drama, und daß sie aus dem Schmutz ihrer Jugend noch unbefleckt und jungfräulich hervorgegangen war. Wie lag alles das ihr heute so fern, sie lächelte sogar darüber und würde nicht einmal ihrem Manne mehr gezürnt haben, wenn er ihr nicht lästig gefallen wäre. So aber wuchs ihre Abneigung gegen diesen in demselben Maße, wie ihre Liebe und ihre Hingebung für den andern sich mehrten. Jacques, der von allem wußte, dem sie jetzt ganz allein angehörte, war ihr unumschränkter Gebieter, nur ihm wollte sie überallhin folgen, nur er hatte das Recht, über sie wie über jeden beliebigen Gegenstand nach Gutdünken zu verfügen. Sie hatte sich seine Photographie erbeten, die Lippen auf das Bild gedrückt schlief sie ein, sehr unglücklich darüber, daß er so elend ausschaute, ohne das Richtige errathen zu können, was ihn so sehr quälte.
    So lange sie sich noch nicht in der neuen, noch zu erobernden Wohnung in aller Ruhe sehen konnten, blieb es mit ihren Stelldicheins im Freien beim Alten. Der Winter ging zu Ende und der Monat Februar brachte sehr mildes Wetter. Sie dehnten ihre Spaziergänge aus und lustwandelten stundenlang durch die mächtige Bahnhofsanlage. Er vermiedes, sich irgendwo aufzuhalten, hing sie sich ihm aber allzuschwer an den Hals und war er deshalb genöthigt, sich niederzulassen und ihre Begier zu befriedigen, so verlangte er, daß es im Dunkeln geschähe, denn er fürchtete sie zu erwürgen, sobald er einen kleinen Streifen ihrer nackten Haut sähe: so lange er nichts erblickte, hoffte er noch der Bestie Widerstand zu leisten. In Paris, wohin sie ihm noch immer an jedem Freitag folgte, schloß er sorgfältig alle Vorhänge mit der Ausrede, daß das helle Licht sein Vergnügen beeinträchtige. Ueber diese allwöchentliche Reise sprach sie mit ihrem Manne kein Wort mehr. Den Nachbarn gegenüber galt das Uebel am Knie nach wie vor als Vorwand, überdies hatte sie jetzt die Ausrede, daß sie ihre alte Amme, die Mutter Victoire, besuchen müßte, deren Heilung im Hospital sehr lange währte. Beiden bereitete diese Fahrt eine angenehme Abwechslung, er gab an diesen Tagen besonders Acht auf die gute Aufführung seiner Locomotive, sie freute sich, ihn weniger umdüstert zu sehen und dann machte auch die Reise selbst ihr noch immer vielen Spaß, trotzdem sie die geringsten Bodenerhebungen, die geringsten Baumgruppen auswendig kannte. Von Havre bis Motteville reichte die weite, von lebendigen Hecken eingerahmte und mit Obstbäumen bestellte flache Ebene; bis Rouen hob und senkte sich die öde Gegend. Hinter Rouen rollte sich die Seine auf, die man bei Sotteville, Oissel und Pont-de-l’Arche passirte; dann sah man sie auf der weiten Ebene, sehr verbreitert, immerwährend wieder auftauchen. Von Gaillon ab hatte man sie beständig linker Hand, ihre flachen Ufer waren von Weiden und Ulmen eingerahmt. Der Bahndamm führte am Fuße der Hügel entlang; erst in Bonnieres verließ man sie, um sie plötzlich in Rosny, beim Verlassen des Tunnels von Rolleboise wiederzufinden. Sie glich einem trauten Reisegefährten. Noch dreimal passirte man sie, ehe man in Paris ankam. Es kamen Mantes mit seinem aus den Bäumen auftauchenden Kirchthurm, Triel mit seinen, wie weiße Flecken erscheinenden Gypsgruben, Poissy, durch das man mitten hindurchfuhr, die beiden grünen Mauern des Waldes von Saint-Germain, die Lilienböschungen von Colombes, endlich tief unten das Weichbild des schon vom Pont d’Asnières erblickten Paris mit dem fernen Arc de Triomphe, mit seinen verpesteten, mit Fabrikschornsteinen gespickten Baulichkeiten.
    Die Locomotive bohrte sich in den Tunnel von Les Batignolles und gleich dahinter landete man in dem hallenden Bahnhof. Bis zum Abend gehörte der Tag ihnen. Auf der Rückfahrt war es schon Nacht, sie schloß ihre Augen und durchlebte noch einmal das genossene Glück. Aber jedesmal, am Morgen wie am Abend, beugte sie beim Vorüberfahren an la Croix-de-Maufras den Kopf vor und warf vorsichtig einen Blick hinaus, ohne sich selbst zu zeigen. Sie konnte darauf zählen, daß vor der Barriere Flore die umhüllte Fahne

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