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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Seine schwerfällige Gelassenheit, der gleichgültige Blick, mit dem er ihrem Zorn begegnete, sein runder Rücken, sein aufgeblasener Bauch, diese ganze schwammige Fettmasse, die sich in behäbigem Glück gefiel, regte sie, die so furchtbar duldete, vollends auf. Mit ihm zu brechen, auf und davon zu gehen und irgendwo ein neues Leben zu beginnen, einen anderen Gedanken kannte sie nicht mehr. O wie schön, von vorn anzufangen, die Vergangenheit auszulöschen, wieder fünfzehn Jahre alt zu sein, zu lieben und geliebt zu werden, so zu leben, wie sie damals vom Leben träumte! Acht Tage lang trug sie einen Plan zur Flucht mit sich herum: sie wollte mit Jacques nach Belgien fliehen und sich dort als junges, arbeitsames Paar niederlassen. Sie behielt aber diesen Gedanken für sich, denn es hatten sich ihrer Absicht sofort Hindernisse in den Weg gestellt; ihre Lage war dann eine höchst bedenkliche, die sie stets zittern machen würde, und vor Allem verdroß es sie, in diesem Falle ihrem Manne ihr Vermögen zurücklassen zu müssen, das baare Geld und la Croix-de-Maufras. Sie hatten das Ganze zu Gunsten des überlebenden Theiles testirt. So lange die Frau als gesetzliche Pflegerin darüber verfügen konnte, band ihre Macht ihm die Hände. Deshalb hätte sie es vorgezogen, lieber hier zu sterben, als sich durch ihre Flucht eines Sous zu berauben. Als er eines Abends todtenblaß nach oben kam und ihr erzählte, er sei so dicht vor einer Locomotive über die Schienen gegangen, daß der Puffer ihn schon gestreift hatte, dachte sie daran, daß sie nach seinem Tode frei sein würde. Sie sah ihn mit ihren großen Augen starr an: warum wollte er durchaus nicht sterben, nun sie ihn nicht mehr liebte und er aller Welt unbequem war?
    Von nun an nahm Séverine’s Traum eine andere Gestaltung an. Sie stellte sich vor, daß Roubaud bei einem Unglücksfall um das Leben gekommen war und daß sie mit Jacques nach Amerika reiste. Sie waren bereits verheirathet, hatten la Croix-de-Maufras verkauft und ihren ganzen Besitz in baares Geld verwandelt. Hinter sich ließen sie keineFurcht zurück; sie verließen das Vaterland, um, Eines im Arme des Anderen, neu geboren zu werden. Dort drüben gab es nichts, was sie vergessen wollte, sie könnte an den Beginn eines neuen Lebens glauben. Hier war sie um ihr Glück betrogen worden, dort wollte sie das Glück von Grund auf kennen lernen. Er würde gewiß bald eine Beschäftigung finden und auch sie könnte gewiß irgend etwas unternehmen, mit einem Worte, dort drüben winkte das mit Kindern gesegnete Glück, ein neues, arbeitsames, zufriedenes Leben. Des Morgens, wenn sie allein im Bett lag oder wenn sie bei ihrer Stickereiarbeit saß, suchte sie derselbe Traum heim, sie verbesserte ihn, malte ihn sich mehr und mehr aus und fügte unaufhörlich glückverheißende Einzelheiten hinzu, so daß sie sich mit Freuden und Glücksgütern schließlich geradezu überbürdet sah. Sie, die früher so ungern ausging, sah jetzt mit Vorliebe der Abfahrt der großen Dampfschiffe zu: sie ging zur Landungsbrücke hinunter, ließ sich dort nieder und folgte dem Rauche des Schiffes, bis er sich am Horizont mit den Nebeln der offenen See mischte; ihr zweites Gesicht spiegelte ihr dann vor, sie stände bereits mit Jacques auf Deck und sei, fern von Frankreich, auf dem Wege zu dem geträumten Paradiese.
    Eines Abends im März wagte sich der junge Mann zu ihr hinauf. Er erzählte ihr bei dieser Gelegenheit, daß mit seinem Zuge ein ehemaliger Schulgenosse von Paris gekommen sei, um nach New-York zu fahren und dort eine neue Erfindung, eine Knopfmaschine, auszubeuten. Dieser brauchte einen Mechaniker als Theilnehmer und hatte ihm ein Anerbieten gemacht. Das wäre eine herrliche Gelegenheit, man brauchte nur dreißigtausend Franken einzuschießen und ein Gewinn von Millionen stände unter Umständen in Aussicht. Er sagte das nur gesprächsweise und fügte gleich hinzu, daß er das Anerbieten selbstverständlich ausgeschlagen habe. Trotzdem war ihm das Herz noch ein wenig schwer, denn es ist hart, auf ein Glück verzichten zu müssen, das man schon so gut wie in der Hand hat.
    Séverine hörte wie abwesend zu. Verwirklichte sich jetzt ihr Traum?
    »O, wir können morgen reisen,« flüsterte sie.
    Er sah überrascht auf.»Wie, wir können reisen?«
    »Ja, sobald er todt ist.«
    Sie nannte Roubaud nicht, aber eine entsprechende Kopfbewegung hinterließ keinen Zweifel, wer der er war. Er hatte begriffen und machte eine unbestimmte

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