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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Bewegung, als wollte er ausdrücken, daß er leider nicht todt wäre.
    »Wir werden reisen,« sagte sie mit langsamer, tiefer Stimme, »und dort drüben glücklich sein! Die dreißigtausend Franken erhalten wir durch den Verkauf meines Besitztums und es würde noch etwas zu unserer Einrichtung übrig bleiben … Du würdest zeigen, was Du kannst, während ich ein trautes, kleines Heim einrichte, in welchem wir uns mit ganzer Seele lieben können … O, wäre das schön, wäre das schön!«
    Und leise fuhr sie fort:
    »Fern von jeder Erinnerung, vor uns nur neue Tage.«
    Er fühlte, wie ihn ein mächtiges Gefühl des Glückes durchzog, ihre Hände fanden und drückten sich instinctiv, keiner sprach mehr, von dieser schönen Hoffnung völlig in Anspruch genommen. Sie brach zuerst das Schweigen.
    »Du solltest noch einmal zu Deinem Freunde gehen, ehe er abreist und ihm sagen, daß er auf Dich warten soll, ehe er einen Theilhaber nimmt.«
    Er staunte abermals.
    »Warum das?«
    »Mein Gott, weiß man denn? Vor einigen Tagen –die Lokomotive –eine einzige Sekunde –und ich war frei … Des Morgens kann man noch ganz vergnügt und am Abend schon todt sein.«
    Sie sah ihn starr an und wiederholte:
    »O, wäre er erst todt!«
    »Du willst doch nicht, daß ich ihn tödte?« fragte er und versuchte zu lächeln.
    Dreimal sagte sie nein, aber ihre Augen, diese Augen einer zärtlichen Frau, die mit grausamer Wollust alles ihrer Leidenschaft opfert, sagten ja. Er hatte einen Andern getödtet, warum sollte ihm nicht Gleiches mit Gleichem vergolten werden? Dieser Gedanke keimte plötzlich in ihr als richtige Folge, als unumgängliches Ende auf. Ihn tödten und auf und davon gehen, nichts einfacher als das. Warer todt, war auch alle Qual zu Ende und alles konnte von Neuem begonnen werden. Eine andere Lösung war in ihren Augen nicht mehr möglich, ihr Entschluß stand durchaus fest, trotzdem sie mit einem leisen Erzittern ihrer Stimme nein sagte, weil ihrer Grausamkeit noch der Muth fehlte.
    Er lehnte am Büffet und zwang sich noch immer zu einem Lächeln. Er hatte soeben das dort liegende Messer bemerkt.
    »Wenn Du willst, daß ich ihn tödte, so mußt Du mir auch das Messer dazu reichen … Die Uhr habe ich schon, ein kleines Museum wäre also fertig.«
    Er lachte noch stärker. Sie aber entgegnete ernst:
    »Nimm das Messer.«
    Und als er es in die Tasche geschoben hatte, lediglich um den Scherz bis auf die Spitze zu treiben, umarmte er sie.
    »Gute Nacht also … Ich gehe sofort zu meinem Freunde und sage ihm, daß er mich erwarten soll … Wenn es Sonnabend nicht regnet, wollen wir uns hinter dem Hause Sauvagnat’s treffen. Abgemacht? … Nun sei hübsch ruhig, wir werden Niemand tödten, es ist zum Lachen.«
    Trotz der vorgerückten Stunde ging Jacques zum Hafen hinunter, um das Hotel aufzusuchen, in welchem sein Freund, der am nächsten Tage abreiste, übernachten wollte. Er erzählte ihm von einer in Aussicht stehenden Erbschaft, erbat sich vierzehn Tage Bedenkzeit und wollte ihm dann endgiltigen Bescheid zukommen lassen. Als er durch die großen, düsteren Alleen zum Bahnhof zurückging, überlegte er erst verwundert den soeben gethanen Schritt. Der Entschluß, Roubaud zu tödten, stand also schon völlig fest, da er bereits über dessen Frau und Geld verfügte? Nein, gewiß nicht, er hatte sich noch zu nichts entschlossen, er traf nur Vorsichtsmaßregeln, falls er sich noch entschließen sollte. Doch jetzt tauchte die Erinnerung an Séverine in ihm auf, an ihre heiße Hand, ihren starren Blick, der ja sprach, während ihr Mund nein sagte. Ohne Frage wünschte sie es, daß er Jenen tödtete. Ihm wurde ganz wirr, sollte er es wirklich thun wollen?
    In der Rue François-Mazeline angelangt, konnte er neben dem bereits schnarchenden Pecqueux keinen Schlaf finden. Gegen seinen Willen arbeitete sein Gehirn diesen Mordplan aus, es legte die Fäden dieses Dramas zurechtund rechnete die entferntesten Folgen aus. Er suchte und erörterte in sich die Gründe für und die Gründe gegen. Bei näherem kaltblütigen Nachdenken waren die meisten für. War Roubaud nicht das einzige Hemmniß seines Glückes? War er todt, konnte er seine angebetete Séverine heirathen, die, wie er sich nicht verhehlen konnte, schon jetzt ihm allein gehörte. Mit ihr erhielt er Geld, ein ganzes Vermögen. Er konnte seinen harten Beruf an den Nagel hängen, wurde selber Herr da drüben in Amerika, in welchen Lande, wie die Kameraden sagten, die Mechaniker das

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