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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Koupees zu steigen, die Anderen beunruhigten sich schon, als sie sahen, daß nicht einmal ein Schiebkarren aufzutreiben war, wo und wie sie essen und schlafen würden. Alle verlangten sie ein Telegraphenbureau zur Stelle, mehrere wanderten zu Fuß nach Barentin, um von dort zu depeschiren. Während die Herren der Behörde von denen der Verwaltung unterstützt die Untersuchung begannen, machten sich die Aerzte eilig an das Verbinden der Verwundeten. Viele lagen ohnmächtig in den Blutlachen. Andere klagten leise beim Ansetzen der Pinzetten und Nadeln. Im Ganzen zählte man fünfzehn Todte und zweiunddreißig schwer Verwundete. Bis die Identität der letzteren festgestellt war, lagen sie alle nebeneinander längs der Hecke, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Ein kleiner Substitut, ein junger, blonder, rosiger Mensch, der vor Eifer glühte, beschäftigte sich alleinmit ihnen, er durchsuchte ihre Taschen, um aus Papieren, Karten, Briefen ihre Namen zu erkennen und an ihnen entsprechende Zettel zu befestigen. Um ihn bildete sich bald ein dichter Kreis; trotzdem fast auf eine Meile in der Runde kein Haus zu sehen war, hatten sich doch schnell an dreißig Menschen, Männer, Weiber, Kinder eingefunden, die nur im Wege standen, ohne helfen zu können. Der schwarze Staub, der Rauchschleier und der Dampf, der Alles eingehüllt hatte, waren verflogen, der strahlende Aprilvormittag leuchtete triumphirend über dieser Stätte des Unheils und die Sonne badete in ihrem milden, fröhlichen Strahlenregen die Sterbenden und die Todten, die vernichtete Lison, das Chaos aufgehäufter Trümmer, das die Arbeiterschaar zusammentrug, Insecten gleich, welche die Rundung ihres durch den Fuß eines unachtsamen Wanderers zertretenen Loches wieder zu ergänzen bemüht sind.
    Jacques war noch immer ohnmächtig. Séverine bat einen vorübereilenden Arzt, näher zu treten. Dieser untersuchte den jungen Mann, fand aber keine äußerliche Verwundung, er befürchtete aber, daß innerliche Verletzungen vorhanden wären, denn es zeigten sich schwache Blutfäden zwischen den Lippen. Er konnte noch nichts Bestimmtes sagen, rieth aber, ihn sobald als möglich in ein Bett zu bringen und bei dem Transport jede Erschütterung zu vermeiden.
    Jacques öffnete unter den ihn betastenden Händen abermals mit einem leisen Schmerzensruf die Augen. Diesmal erkannte er Séverine und nach wie vor bat er sie:
    »Bringe mich fort, bringe mich fort!«
    Flore beugte sich über ihn. Als er den Kopf wandte, erkannte er auch sie. Seine Blicke spiegelten die Furcht eines Kindes wieder, er drängte sich in dem Gefühl des Hasses und des Abscheus an Séverine und wiederholte:
    »Bringe mich fort, gleich, gleich!«
    Sie fragte ihn, wobei sie die vertrauliche Anrede gebrauchte, denn nur das junge Mädchen war zugegen, das nicht zählte:
    »Willst Du nach Croix-de-Maufras? … Wir sind in allernächster Nähe und dort wie zu Hause. Hast Du etwas dagegen?«Er stimmte ihr bei, noch immer unter den Blicken der Anderen erzitternd.
    »Wohin Du willst, nur sofort!«
    Flore war unter diesem ihr fluchenden Blicke erbleicht. In dieser Schlächterei Unbekannter und Unschuldiger waren weder er noch sie vom Tode ereilt worden: die Frau hatte keine Schramme abbekommen und er kam auch vielleicht noch davon. Gerade ihr Verbrechen näherte die Beiden noch mehr als zuvor und verbannte sie in dieses einsame Haus, wo sie allein für sich leben konnten. Sie sah sie plötzlich dort wohnen, den Geliebten geheilt und sie ihn sorgsam pflegen und hätscheln, wenn er wach war, sie sah Beide fern von der Welt in absoluter Freiheit den Honigmond in die Länge ziehen, den die Katastrophe herbeigeführt. Ein eisiger Schauer überrieselte sie, sie blickte die Todten an, für nichts und wieder nichts hatte sie Jene gemordet.
    Bei diesem Umherblicken sah sie, daß Misard und Cabuche von mehreren Herren ausgefragt wurden, wahrscheinlich von Herren des Gerichts. In der That versuchten der Kaiserliche Procurator und der Kabinetschef des Präfecten soeben zu ergründen, wie der Karren auf die Geleise gekommen war. Misard blieb dabei, daß er seinen Posten nicht verlassen hätte und, daß er nichts auszusagen wüßte: er hatte in der That keine Ahnung, wie alles das gekommen war, nur behauptet er, sich in diesem Augenblick mit den Apparaten beschäftigt und so dem Damm den Rücken zugekehrt zu haben. Cabuche, der noch wie dumm im Kopf war, erzählte eine lange, bunte Geschichte, warum er die Pferde allein gelassen

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