Die Bestie im Menschen
ebenfalls auszögest und ich auch?«
Er sah sie erschrocken an. Aber sie sah so sanft wie sonst aus und ihre Kinderaugen blickten so klar wie früher, sie war augenscheinlich nur um den guten Verlauf der Angelegenheit besorgt. Alles das flog ihr durch den Kopf. Er dagegen wurde bis auf die Knochen von dem abscheulichen Schauder geschüttelt, als sie von zwei Nacktheiten und der Besudelung durch den Mord sprach.
»Nein … Wie zwei Wilde also? Warum nicht gleich sein Herz braten? Du verabscheust ihn also genügend?«
Das Gesicht Séverine’s verdüsterte sich plötzlich. Diese Frage rief sie aus den Vorbereitungen einer umsichtigen Wirthschafterin zur Abscheulichkeit des Verbrechens selbst hinüber. Thränen netzten ihre Augen.
»Ich habe seit einigen Monaten zu viel gelitten, ich kann ihn nicht lieben. Hundertmal habe ich gesagt: lieber alles Andere, nur nicht noch eine Woche mit diesem Manne zusammen leben. Aber Du hast Recht, es ist gräßlich, schon darauf kommen zu müssen, wir haben ja keinen anderen Wunsch, als glücklich zu sein … Wir steigen also ohne Licht herunter. Du stellst Dich hinter die Thür und wenn er herein ist, thust Du, wie Du willst … Ich stehe Dir bei, damit Du nicht die ganze Sorge allein hast. Ich arrangire das, so gut ich kann.«
Er war vor dem Tisch stehen geblieben und hatte dort das Messer erblickt, das bereits einmal dem Gatten gedient und das sie jedenfalls zu seiner Benutzung dorthin gelegt hatte. Die Klinge leuchtete im Scheine der Lampe. Er nahm das Messer und prüfte es. Sie sah ihm schweigend zu. Da er es schon in der Hand hatte, brauchte nicht weiter davon gesprochen zu werden. Sie fuhr erst fort, als er das Messer wieder hingelegt hatte.
»Ich will Dich durchaus nicht treiben, mein Schatz. Ich will mich lieber Allem fügen, als Dein Leben zerstören. Noch ist es Zeit, gehe fort, wenn Du es nicht vermagst.«
Mit einer heftigen Bewegung wies er ihr Ansinnen zurück.
»Hältst Du mich für einen Feigling? Diesmal ist es geschworen!«
In diesem Augenblick wurde das Haus durch den Donner eines vorüberfahrenden Zuges so erschüttert, daß es schien, als dränge der so dicht vorübersausende Zug in das Zimmer selbst ein.
»Das ist sein Zug,« setzte er hinzu, »der directe von Paris. Er ist in Barentin ausgestiegen und wird in einer halben Stunde hier sein.«
Jacques und Séverine sprachen nicht mehr, tiefes Schweigen herrschte. Sie sahen den Mann dort unten durch die düstere Nacht auf schmalen Pfaden herannahen. Jacqueshatte mechanisch seinen Gang durch das Zimmer aufgenommen, als wollte er die Schritte des Anderen an seinen zählen, der bei jedem Ausschreiten sich ein wenig mehr näherte. Noch einer und wieder einer und nach dem letzten mußte er in die Vorhalle treten und dort durch Jacques das Messer in die Gurgel bekommen. Séverine hatte noch immer das Oberbett bis an das Kinn emporgezogen und lag auf dem Rücken; mit ihren großen, starren Augen sah sie seinem Auf- und Abwandern zu; ihr Geist wurde gewiegt von dem regelmäßigen Tonfall seiner Schritte, die auch ihr wie ein Echo der fernen Schritte jenes Anderen klangen. Einer nach dem andern, ohne Unterbrechung, nichts konnte sie mehr aufhalten. Wenn er genug Schritte gemacht hatte, wollte sie aus dem Bett springen, mit nackten Füßen und ohne Licht nach unten gehen. »Du bist es, mein Freund, nur herein, ich hatte mich schon hingelegt.« Er würde nichts antworten können, denn er würde im Dunkeln mit klaffender Gurgel zu Boden sinken.
Wieder fuhr ein Zug vorüber, diesmal nach der andern Richtung. Es war der Bummelzug, der sich mit dem directen Eilzuge von Paris in einer Entfernung von fünf Minuten von la Croix-de-Maufras kreuzte. Jacques blieb überrascht stehen. Erst fünf Minuten vorüber! Die halbe Stunde würde eine Ewigkeit dauern. Ein Trieb nach Bewegung ließ ihn wieder von einer Seite des Zimmers zur andren schreiten. Er fragte sich besorgt, wie die von einem Schlaganfalle im späteren Alter betroffenen Männer zu fragen pflegen: würde er können? Er kannte ganz genau den Gang des Phänomens in seinem Innern, denn er hatte ihn schon mehr als zehnmal beobachtet: zuerst war es eine Gewißheit, ein absoluter Entschluß zu morden, dann ein Druck in der Brusthöhle, ein Erkalten der Füße und Hände und vor allem die Ohnmacht seines Willens gegenüber den träge gewordenen Muskeln. Um sich durch die Begründung dieses Mordes in Stimmung zu versetzen, wiederholte er wieder, was er sich schon so oft
Weitere Kostenlose Bücher