Die Bestie im Menschen
auszustrecken.
»Lege Dich hin, ich beschwöre Dich,« bat er, stotternd vor Anstrengung, sich zu beherrschen.
Aber sie täuschte sich nicht: das zu große Verlangen nach ihr ließ ihn so erbeben. Warum sollte sie ihm gehorchen,sie wollte ja von ihm an diesem Abend geliebt sein, so wie nur er lieben konnte, bis zur Raserei. Schmeichelnd näherte sie sich ihm noch mehr und stand nun dicht vor ihm.
»So umarme mich doch … Umarme mich so stark wie Deine Liebe ist, das wird uns Muth machen … O ja, Muth, wir können ihn gebrauchen! Wir müssen uns anders und stärker als alle Andren lieben können, um thun zu können, was wir vorhaben … Umarme mich also von ganzem Herzen, aus voller Seele.«
Halberwürgt athmete er kaum noch. Ein wüstes Brausen in seinem Gehirn hinderte ihn sie zu verstehen. Feurige Bisse hinter den Ohren durchlöcherten seinen Kopf, eroberten seine Arme, seine Füße, der Galopp des Anderen, der ihn vergewaltigenden Bestie jagte ihn aus seinem eigenen Körper. Seine Hände gehörten nicht mehr ihm, die durch die Nacktheit dieser Frau ihm eingeflößte Trunkenheit war zu stark. Die nackten Brüste drückten sich an seinen Kleidern platt, der bloße, weiße und so zarte Hals bildete eine zu unwiderstehliche Versuchung; der warme, brünstige, Alles beherrschende Athem jagte ihn vollends in den Schwindel der Wuth hinein, in das Schwanken, das seinen Willen umdüsterte, ausriß und vernichtete.
»Umarme mich, Schatz, so lange uns noch eine Minute bleibt … Du weißt, er wird bald hier sein. Wenn er schnell gegangen ist, kann er von einer Minute zur andern an die Thür klopfen … Da Du jetzt nicht herunterkommen willst, so denke daran, daß ich öffnen werde und daß Du hinter der Thür stehst: und warte nicht, stoße sofort zu, um zu Ende zu kommen … Ich liebe Dich so sehr, wir werden glücklich sein! Er, der schlechte Mensch, hat mich so sehr leiden lassen, er ist das einzige Hinderniß unseres Glückes … Umarme mich, so stark, o so stark, als wenn Du mich verschlingen wolltest, damit ich ganz in Dich aufgehe!«
Jacques tappte, ohne sich umzublicken, mit der rechten Hand nach dem Messer. Einen Augenblick blieb sein Arm mit dem Messer in der Faust in dieser Lage. War jetzt der Durst wieder da nach Rache für uralte Beleidigungen, deren genaue Kenntniß ihm abging, für diese von Geschlecht zu Geschlecht aufgehäufte Gemeinheit seit dem ersten Betrug im Dunkel der Höhlen? Er richtete auf Séverine seine wirrenBlicke, er empfand nur noch das Gelüste, sie todt zu Boden zu strecken wie eine Anderen abgejagte Beute. Das Schreckensthor that sich über dem schwarzen Abgrund des geschlechtlichen Triebes im Menschen auf, der selbst im Tode nach Liebe wühlt und zerstören will, um noch mehr zu besitzen.
»Umarme mich … umarme mich …«
Sie bog ihr unterwürfiges, zärtlich flehendes Gesicht zurück und wollüstig drängte sich ihr nackter Busen hervor. Als er dieses weiße Fleisch wie in einem Wiederschein von Feuer getaucht sah, hob er die mit dem Messer bewaffnete Faust. Sie sah die Klinge im Lichte blitzen und wich vor Schrecken und Grauen bebend zurück.
»Jacques, Jacques … Ich, mein Gott! Warum, warum?«
Seine Zähne waren auf einander gebissen, er sprach kein Wort, sondern drängte ihr nach. Ein kurzer Kampf brachte sie bis an das Bett. Sie wich noch weiter zurück, ohne sich zu vertheidigen, das Hemde zerriß.
»Warum, mein Gott, warum?«
Er senkte die Faust und das Messer schnitt ihr die Frage ab. Er hatte beim Zustoßen die Klinge gewendet, in dem fürchterlichen Bedürfniß der voll befriedigt sein wollenden Hand: es war derselbe Stoß, der den Präsidenten Grandmorin getroffen hatte, an derselben Stelle, mit derselben Wuth geführt. Hatte sie geschrieen? Es ist ihm nie klar geworden. In demselben Augenblick kam der Pariser Eilzug so schnell und wuchtig vorüber, daß selbst die Diele zu schwanken schien. Sie war gestorben als hätte sie der Blitz inmitten dieses Donners erschlagen.
Hingestreckt zu seinen Füßen lag sie vor dem Bett. Er sah sie an. Der Zug verlor sich in der Ferne. In dem dumpfen Schweigen des rothen Zimmers betrachtete er sie. Inmitten der rothen Vorhänge, der rothen Tapeten lag sie auf der Diele und blutete stark, eine rothe Fluth rieselte zwischen den Brüsten hindurch, breitete sich auf dem Unterleibe aus und floß von dem einen Schenkel aus in dicken Tropfen auf das Parquet. Das halb zerrissene Hemde wurde davon durchtränkt. Er hätte nie geglaubt,
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