Die Bestie im Menschen
ganze Haus vom Donner eines gerade vorüberfahrenden Zuges erzitterte. Dieser Zug hatte ihn wahrscheinlich aufgeweckt. Geblendet starrte er in das Sonnenlicht und in dieses rothe Geriesel, dann erinnerte er sich an Alles: es war in der verflossenen Nacht beschlossen worden, daß er morden sollte, sobald diese helle Sonne wieder verschwunden war.
Es verlief Alles so, wie Séverine und Jacques verabredet hatten. Sie bat nach dem Frühstück Misard, die Depesche für ihren Mann nach Doinville zu tragen. Und als gegen drei Uhr Cabuche sich einfand, traf Jacques ganz offen seineVorbereitungen zur Abreise. Als er ging, um in Barentin den Zug um vier Uhr vierzehn Minuten zu besteigen, begleitete ihn der Kärrner, der nichts weiter zu thun hatte, vielleicht in dem dunklen Gefühl, bei dem glücklicheren Locomotivführer einen Theil der geliebten Frau wiederzufinden. In Rouen kam Jacques zwanzig Minuten vor fünf an; er stieg neben dem Bahnhofe in einer Herberge ab, die eine Landsmännin von ihm dort hielt. Er sprach davon, daß er am nächsten Tage erst seine Freunde besuchen wollte, ehe er den Dienst wieder antrat. Er sagte gleichzeitig, daß er sich sehr müde fühle, weil er noch nicht wieder im Besitz aller seiner Kräfte sei. Daher zog er sich schon um sechs Uhr zurück, um sich in einem Zimmer im Erdgeschoß, das er sich hatte geben lassen, zu Bett zu legen. Das Fenster dieses Zimmers ging auf eine öde Straße. Zehn Minuten später war er aus dem Fenster gesprungen, ohne gesehen worden zu sein, und auf dem Wege nach la Croix-de-Maufras. Den Fensterladen hatte er wieder angelegt, so daß er ihn später nur aufzustoßen brauchte.
Es war erst ein Viertel nach neun Uhr, als Jacques wieder vor dem einsamen Hause stand, das sich in seiner öden Verlassenheit so dicht neben dem Geleise erhob. Die Nacht war düster, kein Lichtschimmer erhellte auf dieser Seite die hermetisch verschlossene Fassade. Er spürte noch immer im Herzen dieses beängstigende Vorgefühl eines ihn dort erwartenden Unglücks. Wie mit Séverine verabredet, warf er kleine Kieselsteine gegen die Fensterladen des Zimmers. Dann ging er um das Haus herum, wo sich leise eine Thür öffnete. Er schloß sie hinter sich und tappte den leichten Schritten nach, die Treppe herauf. Oben beim Scheine der großen Lampe aber, die auf dem Tische brannte, sah er das Bett in Unordnung, die Kleider der jungen Frau auf einem Stuhl liegen und sie selbst im Hemde mit nackten Beinen und zur Nacht zurechtgemachten Haaren, die hochgewunden den Nacken frei ließen, vor sich stehen. Er war starr vor Ueberraschung.
»Wie, Du hast Dich hingelegt?«
»Ja, es wird so besser sein … Mir fiel es ein, daß, wenn ich ihm in diesem Aufzug öffne, er noch weniger mißtrauisch sein wird. Ich will ihm erzählen, daß ich starke Migräne habe. Misard glaubt ebenfalls, daß ich leidend bin.Dadurch gewinnt auch die Ausrede, daß ich die ganze Nacht das Zimmer nicht verlassen habe, wenn man ihn morgen früh dort unten auf den Geleisen finden wird, an Wahrscheinlichkeit.«
Aber Jacques zitterte und fuhr sie heftig an.
»Nein, nein, kleide Dich an … Du mußt auf sein. Du kannst nicht so bleiben.«
Sie lächelte erstaunt.
»Warum, Schatz? Beunruhige Dich nicht, ich werde mich nicht erkälten … Fühle nur, wie warm mir ist.«
Sie näherte sich schelmisch, um ihre nackten Arme um seinen Hals zu legen, ihr Hemd glitt dabei auf die eine Schulter herunter und ließ die runden Brüste sehen. Als er in wachsender Verwirrung vor ihr zurückwich, ließ sie sich belehren.
»Aergere Dich nicht, ich werde mich ganz in mein Bett verkriechen. Du brauchst nicht mehr zu fürchten, daß ich mich krank mache.«
Als sie wieder im Bett lag und die Decke bis an das Kinn heraufgezogen hatte, schien er sich ein wenig zu beruhigen. Sie sprach gelassen weiter und erzählte ihm, wie sie sich Alles ausgedacht hatte.
»Sobald er klopft, gehe ich hinunter. Erst wollte ich ihn bis nach oben kommen lassen, hier solltest Du ihn erwarten. Aber das Heruntertragen wäre zu umständlich. Hier oben ist der Fußboden auch parquettirt, unten aber nur gedielt, so daß ich die Blutflecke leichter abwaschen kann, falls es welche abgiebt. Als ich mich vorhin auszog, dachte ich gerade an einen Roman, in welchem der Verfasser von einem Mann erzählte, der sich nackt auszog, um einen andern zu tödten. Verstehst Du, warum? Nun, man wäscht sich nachher und hat keinen einzigen Fleck auf den Kleidern … Wie wäre es, wenn Du Dich
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