Die Bestie im Menschen
offen halten, wenn man sehen will,« antwortete er ziemlich barsch.
Jacques sah ihn mißmuthig an, er glaubte, Jener sei nicht recht bei Verstande. In der vergangenen Woche warer der Geliebten des Genossen, der schrecklichen Philomène, richtig in die Arme gerathen, die schon seit langer Zeit sich an ihm wie eine magere, liebesdurstige Katze rieb. Es war keine geschlechtliche Neugierde, die ihn zu ihr trieb, er wollte nur etwas erfahren, nämlich, ob er gänzlich geheilt und ob jetzt sein schändlicher Trieb befriedigt war. Konnte er diese für sich haben, ohne ihr ein Messer in den Hals zu jagen? Schon zweimal hatte er sie gehabt und kein Schauder, keine Uebelkeit sich eingestellt. Daher seine große Freude, seine ruhige, lächelnde Miene, das Gefühl des Glücks, jetzt wieder ein Mann wie alle andern Männer zu sein.
Pecqueux wollte neue Feuerung auflegen.
»Nein, treibt sie nicht zu sehr an, sie geht gerade gut so.«
Der Heizer brummte etwas in den Bart.
»Ja wohl, geht gut … Eine Faxenmacherin, eine Schlumpe ist sie! … Wenn ich daran denke, daß man an die andere, die alte, die so gut war, Hand angelegt hat! … Dieses Frauenzimmer von der Straße verdient einen Tritt in den Hintern.«
Jacques wollte sich nicht ärgern und gab keine Antwort. Aber er fühlte wohl, daß ihr einstiges eheliches Leben zu Dreien für immer zerstört war; denn die gute Freundschaft, die zwischen ihm, jenem und der guten Lison immer geherrscht hatte, war seit dem Tode der letzteren verschwunden. Jetzt stritt man sich um ein nichts, um eine zu sehr angezogene Schraubenmutter, um eine zu viel aufgelegte Schaufel Kohlen. Er nahm sich vor, vorsichtig im Verkehr mit Philomène zu sein, denn er wollte es nicht zu einem offenen Kriege kommen lassen auf dieser schmalen, schwankenden Brücke, die ihn und den Heizer trug. So lange Pecqueux aus Erkenntlichkeit dafür, daß er nicht fortgejagt wurde, kleine Summen ausgezahlt erhielt und die Vorräthe seines Vorgesetzten verzehren konnte, war er ihm ein gehorsamer und ergebener Hund gewesen, der für ihn die ganze Welt erwürgt hätte, wenn er es befohlen. Der täglichen Gefahr hatten beide wie Brüder in’s Auge gesehen und es hatte keiner Worte bedurft, um sich zu verständigen. Aber dieses Leben wurde zur Hölle, wenn man sich unbequem wurde und man Seite an Seite durchrüttelt wurde, während man sich am liebstengegenseitig aufgefressen hätte. Erst in der verflossenen Woche hatte die Gesellschaft den Locomotivführer und den Heizer des Eilzuges nach Cherbourg trennen müssen, weil sie wegen einer Frau in Uneinigkeit gerathen waren, der Erstere mißhandelte den letzteren, weil er ihm nicht gehorchte: es gab unterwegs Schläge und wirkliche Kämpfe, wobei man gänzlich des Schwanzes von Reisenden vergaß, der mit voller Schnelligkeit hinter ihnen herrollte.
Noch zweimal öffnete Pecqueux die Thür und legte trotz des Verbotes Kohle auf; er suchte augenscheinlich einen Streit vom Zaune zu brechen. Jacques that so, als bemerkte er nichts, als sähe sein Auge weiter nichts als die Strecke, er gebrauchte indessen die Vorsicht, jedesmal den Injectionshebel zu stellen, damit der Druck sich verminderte. Die Luft war so sanft und der schwache, erfrischende, durch die Geschwindigkeit des Zuges hervorgebrachte Wind that in der warmen Juninacht so wohl. Als man um elf Uhr fünf Minuten in Havre einlief, besorgten die beiden Männer die Toilette der Locomotive so einträchtig wie früher.
Als sie gerade das Depot verließen, um sich in die Rue François-Mazeline zur Ruhe zu begeben, rief sie Jemand an:
»Habt Ihr es so eilig? Tretet doch einen Augenblick näher!«
Es war Philomène, die von der Schwelle ihres brüderlichen Hauses aus auf Jacques gelauert hatte. Sie konnte eine Bewegung der Enttäuschung nicht unterdrücken, als sie Pecqueux bemerkte. Sie hatte sich daher wohl oder übel entschließen müssen, beide anzurufen; um das Vergnügen zu genießen mit ihrem neuen Freunde plaudern zu können, mußte sie die Gegenwart des alten erdulden.
»Laß uns in Ruhe,« brummte Pecqueux, »Du langweilst uns, wir sind müde.«
»Bist Du liebenswürdig!« antwortete Philomène aufgeräumt, »da ist Herr Jacques ganz anders, er nimmt gewiß gerne noch ein Gläschen zu sich … Nicht wahr, Herr Jacques?«
Der Maschinenführer dankte kluger Weise, der Heizer jedoch nahm die Einladung mit einem Male an. Es war ihm eingefallen, daß er sich durch Beobachtung der Beiden am besten Gewißheit verschaffen
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