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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gewußt haben, anders kann ich mir Ihre Heirath nicht erklären. –Uebrigens genügt die Feststellung einer ganz einfachen Thatsache, Sie zu widerlegen. Sie sind nicht eifersüchtig, wagen Sie es doch zu behaupten, daß Sie eifersüchtig sind.«
    »Ich sage die Wahrheit, ich habe in einem Wuthanfalle von Eifersucht den Mord verübt.«
    »Nachdem Sie also den Präsidenten ehemaliger, angeblich ungewisser Beziehungen wegen ermordet haben –ich glaube nicht daran –müssen Sie mir ja auch erklären können, aus welchem Grunde Sie es litten, daß dieser Jacques Lantier, ein solider Mensch, eine Liebschaft mit Ihrer Frau unterhielt. Jedermann wußte von diesem Verhältniß und auch Sie selbst haben aus Ihrer Kenntniß desselben kein Hehl gemacht … Sie ließen ihn unbehelligt ein- und ausgehen, warum?«
    Mit gesenktem Kopf starrte Roubaud in die Leere, er fand keine Ausrede und meinte schließlich:
    »Ich weiß es nicht … Den ersten tödtete ich, diesen nicht.«
    »Sie können also nicht behaupten, daß Sie rachsüchtig aus Eifersucht sind und ich rathe Ihnen, diesen Roman den Geschworenen nicht aufzutischen, denn sie würden nur mitleidig darüber lächeln … Folgen Sie mir, ändern Sie Ihr System, die reine Wahrheit nur kann Sie retten.«
    Von diesem Augenblick an bemühte sich Roubaud, diese Wahrheit zu sagen, die im Grunde genommen eine große Lüge war. Alles wendete sich so wie so gegen ihn. Das frühere Verhör bei der ersten Untersuchung unterstützte ebenfalls die neue Version, denn er selbst hatte damals Cabuche beschuldigt. Damit war also der Beweis einer außerordentlich geschickt gemachten Verbindung Beider erbracht. Der Richter durchhechelte die Psychologie dieses Falles mit einer wahrhaften Liebe zu seinem Berufe. Noch nie, so erzählte er, sei er so tief in die menschliche Natur eingedrungen. In ihm siegte das Ahnungsvermögen über die Beobachtungsgabe. Er gehörte zu der Schule der sehnenden und fascinirenden Richter, die durch einen einzigen Augenaufschlag den ganzenMenschen bloßlegen. Die Beweise waren übrigens ebenfalls in erdrückender Menge zur Stelle. Noch nie hatte eine Untersuchung eine solidere Basis ergeben, die Gewißheit blendete geradezu wie das Licht der Sonne selbst.
    Es vermehrte den Ruhm des Herrn Denizet, daß er beide Sachen in einen Topf werfen konnte, nachdem er die erste geduldig und in aller Stille reconstruirt hatte. Nach dem lärmenden Erfolge des Plebiszits hörte das Fieber im ganzen Lande nicht auf, es glich dem Schwindel, der großen Katastrophen vorausgeht. In der Gesellschaft, in der Politik, in der Presse namentlich des sich seinem Ende zuneigenden zweiten Kaiserreichs herrschte eine beständige Unruhe und Aufregung, so daß selbst die Freude eine krankhafte Ueberschwenglichkeit annahm. Als man nach der Ermordung einer Frau in dem abseits gelegenen Landhause von la Croix-de-Maufras hörte, daß durch einen geschickten Schachzug des Untersuchungsrichters in Rouen die alte Sache Grandmorin ebenfalls ausgegraben und mit dem neuen Verbrechen in Verbindung gebracht worden sei, brach ein Freudengeschrei in der offiziellen Presse aus. Von Zeit zu Zeit nämlich hatten die oppositionellen Blätter noch einige Sticheleien betreffs des unauffindbaren, sagenhaften Mörders, dieser Erfindung der Polizei, vom Stapel gelassen, welch letztere den Auftrag hätte, die schmutzigen Händel einiger kompromittirter hochgestellter Persönlichkeiten zu verdecken. Die Antwort wirkte wie ein Keulenschlag: Der Mörder und sein Mitschuldiger waren verhaftet, das Gedächtniß des Präsidenten Grandmorin ging unbefleckt aus dieser Geschichte hervor. Die Polemik begann von Neuem, die Aufregung zwischen Paris und Rouen wuchs von Tag zu Tag. Abgesehen von diesem spannenden, die Einbildung beschäftigenden Roman selbst, ereiferte man sich bereits darüber, ob die endlich entdeckte, unbestreitbare Wahrheit dem Staat wieder ein festes Gefüge geben würde. Eine ganze Woche hindurch brachten die Zeitungen spaltenweise Einzelheiten über diese Affaire.
    Herr Denizet wurde nach Paris berufen und fand sich in der Privatwohnung des Generalsecretärs, Herrn Camy-Lamotte in der Rue du Rocher ein. Er fand ihn stehend in seinem ernsten Arbeitskabinet, sein noch müder blickendes Gesicht hatte etwas gemagert. Er schien auch etwas gebeugt,jedenfalls sah er im Widerschein dieser Apotheose den bevorstehenden Verfall des alten Regime ahnenden Geistes kommen. Seit zwei Tagen war er eine Beute innerer Kämpfe; er

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